„Cleopatra hat den gleichen Sonnenuntergang gesehen”

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Hanser, 270 Seiten, 22 EUR

Briefe haben einen Adressaten und wollen gelesen werden. Sie haben aber auch einen Absender, der den Brief zuweilen schreibt, um sich selbst auf die Schliche zu kommen. So einer ist der junge Little Dog, Sohn einer vom Krieg schwer traumatisierten und analphabetischen vietnamesischen Mutter und eines amerikanischen Vaters. Der autobiografische Roman „Auf Erden sind wir kurz grandios” von Ocean Vuong (Hanser, 270 Seiten, 22 EUR) erzählt, wie dieser Brief entsteht. Erinnerungen, Gedanken, Schmerzeslasten und Vergnügliches reihen sich aneinander. Je weiter das Erzählwerk voranschreitet, desto fragmentarischer wird es. Das ist kein Bruch, sondern geschieht meisterlich. An einer Stelle erklärt der Autor denn auch: „Ich erzähle dir weniger eine Geschichte als ein Schiffswrack – die Teile dahintreibend”. Es geht um psychische und physische Verletzungen, soziale Lasten, um Freundschaft und Schwulsein in diskriminierender Abhängigkeit, Lebensverluste. Ein Buch, das zugleich aktuell und zeitlos ist. Zeitlos wie die Natur. „Cleopatra hat den gleichen Sonnenuntergang gesehen”, staunt eine der Romanfiguren.

Aufbau, 158 Seiten, 18 EUR

Ja, die Welt hat sich wenig geändert seit Cleopatra, auch die Menschen sind keine anderen, wenngleich sie Wissenschaft und Technik in schwindelerregender Schnelligkeit vorangetrieben haben. Die Kriege sind nur blutiger und grausamer geworden. „Nachts ist unser Blut schwarz” von David Diop (Aufbau, 158 Seiten, 18 EUR) ist ein Roman, der die Frage nach der Menschlichkeit in kriegerischen Zeiten, hier im Ersten Weltkrieg, stellt. Er spielt unter Senegalschützen, die Frankreich aus seinem damaligen Kolonialreich eingezogen hat. Der Soldat Alfa Ndiaye hat seinem besten Freund, der schwer verwundet war, die Erlösung verwehrt. Er fühlt sich schuldig, und will nun die Schuld mit besonders grausamem Kampfeinsatz abtragen. Diop bedient sich einer sehr lyrischen, eingängigen Sprache, die die Grausamkeiten eindrucksvoll kontrastiert.

Rütten & Loening, 456 Seiten, 18 EU

Wäre der Krieg, von Frauen geführt, weniger entsetzlich? Kriegführung ist nie human, auch wenn es um Verteidigung geht. Auch Cleopatra neigte nicht zur Gnade. „Die Spionin” heißt ein spannender Roman des Autorenduos Imogen Kealey aus dem Zweiten Weltkrieg (Rütten & Loening, 456 Seiten, 18 EUR). Im Mittelpunkt das Drama einer jungen Frau, die sich der Resistance, dem Widerstand gegen die faschistischen Eindringlinge, angeschlossen hat. Sie ist jung verheiratet, ihr Mann politisch zwar nicht aktiv, aber beseelt von Zivilcourage. Als „Weiße Maus”, so ihr Tarnname, verbreitet die Frau Angst und Schrecken unter den Nazis. Sie unternimmt Überfälle, schneidet Kehlen durch und schießt um sich, zerstört Brücken und Munitionslager. Hunderte von Leben enden durch sie. Keiner ahnt, dass die Weiße Maus eine Frau ist. Da bekommt die Gestapo ihren Mann in die Hände und nimmt ihre Spur auf. Hat er sie unter der Folter verraten? Ein grausamer Krieg, auch eine Frau, aktiv daran beteiligt, kann sich dem nicht entziehen. Ein spannendes Buch, das zartbesaiteten Leserinnen vielleicht weniger zu empfehlen ist.

Cleopatra, unter der gleichen Sonne wie wir, hätte bei aller Machtbesessenheit, ihre Freude an dem Mädchen

Ullstein, 224 Seiten, 20 EUR

Franzi gehabt, das seine DDR-Kindheit und seine Nachwende-Jugend in Berlin „Hufeland, Ecke Bötzow” (so der Romantitel bei Ullstein, 224 Seiten, 20 EUR) erlebt hat. Autorin Lea Streisand lässt ihre Protagonistin selbst pointenreich erzählen und hat dafür eine leichte, zuweilen schnoddrige Sprache zur Verfügung, die das Lesen streckenweise zum Vergnügen macht. Franzi sagt von sich als Jungpionier, dass sie sich geborgen fühlte „in diesem Staat, in dem alle Menschen Brüder waren. Sogar die Mädchen.” Das verfällt aber nicht in Nostalgie. Über allem schwebt eine feine Ironie, die sich in dem Erleben der ersten Jahre nach der Wiederverein

igung fortsetzt. Das ist kein gültiges Geschichtsbuch, aber ein anregendes Geschichtenbuch allemal.

Klaus Wilke

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