Mein Bücherbord Februar 2019

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Und immer wieder Sigmund Freud

„Als Kind war ich überzeugt, meine Mutter sei eine Fee.”  Später  revidiert die Autorin diesen Eindruck. Die Mutter hatte alles Feenhafte abgelegt und traktierte die Tochter. Die Frage ist: Wie verlässlich sind unsere Erinnerungen und wie ausgeprägt die Verdrängungsmechanismen? Antworten darauf erhält der Leser in  dem Buch „Was nie geschehen ist” von Nadja Spiegelman (Aufbau, 394 Seiten, 22 EUR). Sehr autobiografisch angelegt, wirft es den Blick auf drei Generationen. Nadja Spiegelman ist die Tochter des Cartoonisten Art Spiegelman und der Kunstredakteurin Francoise Mouly. Gespräche mit Eltern und Großeltern geraten zu therapieähnlichen Analysen, die sich ganz spannend lesen. Immer wieder scheint der berühmte Sigmund Freud um die Ecke zu gucken.

„Das Auge sieht, das Hirn ergänzt”, heißt es in einem der 16 Texte Judith Schalanskys in ihrem Buch „Verzeichnis einiger Verluste” (Suhrkamp, 252 Seiten, 24 EUR). Nach diesem Prinzip ist wohl auch dieser wunderbare Band entstanden, den Judith Schalansky zudem illustriert und gestaltet hat. Sie widmet sich untergegangenen Kulturen, Kunstwerken, Bauten, Lebensformen und formuliert dazu Geschichten, Abhandlungen, Essays, die durchweg die Leselust und den Wissensdurst animieren. Ein Tipp: Unbedingt auch die Vorbemerkung und das Vorwort lesen! Es stehen Sätze darin, die möchte man auswendig lernen.

„Die alle mit Worten und Tönen und Bildern die Welt umkrempeln wollen.” So fasst Florian Illies das Wirken einer Reihe von Kulturschöpfern zusammen. In seinem Buch „1913. Was ich unbedingt noch erzählen wollte” (S. Fischer, 304 Seiten, 20 EUR) porträtiert er das Vorkriegsjahr weiter. Er hatte das bereits mit „1913. Der Sommer des Jahrhunderts” begonnen. Die vermeintlichen Weltumkrempler nennt der Revolutionsführer: Musil, Freud, Stefan Zweig, Schönberg, Berg, Schiele, Kokoschka, Trakl u.a. Hätte doch die Kultur alle Macht gehabt! Einer, vielleicht sogar zwei Weltkriege wären uns erspart geblieben. Das Jahresporträt, der Jahresroman weist eine erstaunliche Fülle an Anekdoten, Beobachtungen, Begebenheiten, Merkwürdigkeiten auf.

„Es gab ein Problem bei seinem Verfahren.” So viel wissen die drei Polizisten, als sie den abgelehnten Asylbewerber zwecks Abschiebung nach Tadshikistan zum Flughafen bringen. Hugo Boris hat einen außerordentlich dichten und packenden Polizeiroman geschrieben: „Die Polizisten” (Ullstein, 189 Seiten, 20 EUR). Ein Roman, in dem es nicht um die Frage „Wer war es?” geht, sondern um das „Was wird?” Ja, was wird, wenn einer, der vor der Gefahr um Leib und Leben aus seiner Heimat geflüchtet ist, wieder mit Gefahr für Leib und Leben dorthin verbracht wird? Gibt es, dem Befehl zuwider, eine Möglichkeit, Menschlichkeit zu bewahren? Und wie viel Selbstaufopferung ist dafür notwendig? Boris‘ Roman lotet moralische Fragen in seiner spannungsgeladenen Geschichte tief aus.

Klaus Wilke
Titelfoto: Lesen in allen Situationen mit Klaus Wilke. Foto: TSPV

 

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