Einen „drehen“ im Textilmuseum Forst
Noch vor wenigen Wochen platzierte unsere regionale Tageszeitung die Schlagzeile „Forst ist Zentrum der Drogenkriminalität“. Grund genug, mal an die deutsch-polnische Grenze zu fahren und nach dem besten Stoff der Lausitz zu suchen. Wo finde ich ihn? Natürlich im Textilmuseum Forst!!! Ist doch klar! Und zwar ganz legal, Leute! Nur 500 Meter vom Bahnhof entfernt (wenn man rauskommt, nach rechts) sitzt der Hotspot vom berühmten Forster Stoff. Kosten für Erwachsene nur drei Euro. Rauschzustand etwa eine Stunde. Erkenntniszustand eine ganze Weile… Ziemlich gutes Preis-Leistungsverhältnis. Völlig wollig (grob übersetzt auf Englisch high), kommt man hier drauf.
Heutzutage vergessen wir das langsam, aber unsere Region war das deutsche „Manchester“. Cottbus-Guben-Forst-machten DIE Textil-Region aus. In Forst gab es in der Zeit der Weimarer Republik etwa 288 Textilfabriken mit zirka 4500 Webstühlen in der Stadt. Alte Fotos zeigen das Bild eines Industrieortes, aus dem die rauchenden Schornsteine wie Pilze aus dem Boden wuchsen. Da wurde ordentlich gebollert seinerzeit, völlig unvorstellbar für heutige Standards. Die Fabriken lagen nicht irgendwo weit außerhalb der Ortsmauern, sondern mitten in der Stadt. Ein Drittel der Einwohner waren in der Textilindustrie beschäftigt. Fabrik und urbanes Leben schien also miteinander aufs engste verwoben, wie feinstes Forster Mischgewebe. Die Stadt glich einem pulsierenden, qualmenden, Webstuhlratternden Organismus.
Natürlich war man als Forster stolz auf seine Errungenschaften. Die gemusterten Stoffe zur Anzugsherstellung waren günstiger als die englische Konkurrenz. In den Goldenen Zwanzigern trug Deutschland Anzüge aus Forster Tuch. Die Herstellung selbst ist ein komplexer Vorgang. Wer wissen will, wie aus loser Wolle ein hochwertiges Tuch entsteht, dem sei der Museumsgang empfohlen. Die Führung ist wirklich sehr anschaulich. Vom Spinnrad bis zur maschinellen Produktion wird man mitgenommen. Krempeln, spinnen, zwirnen, weben wird ganz praktisch vorgeführt. Sogar mitmachen darf der Besucher. Wohlan, es ist Zeit, sich seinen roten Faden zu drehen. Der gewonnene Eindruck nach einer Stunde umschreibt sich am besten mit dem Wort: Respekt. Die Arbeit in einer Textilfabrik war zunächst einmal laut. Mit Dezibel-Pegel jenseits der Schmerzgrenze knallte die Fabrikmaschinerie sich durch den Arbeitstag. Das bedingungslose Räderwerk der mechanischen Webstühle, aus dem bunter Stoff fließt, trägt Poesie und Grausamkeit gleichzeitig in sich. Die Maschinen selbst, auch das muss man sagen, sind echte Ingenieurskunst.
1964 wurden alle Textilbetriebe der Stadt zum VEB Tuchfabriken Forst mit rund 3000 Beschäftigten zusammengelegt. Bis 1990 wurde hier Flächengewebe hergestellt. Auch westdeutsche Bekleidungsunternehmen wie C&A kauften Forster Tuch und beschafften der Volkswirtschaft des Arbeiter-und-Bauern-Staates die nötigen Devisen. Allerdings reinvestierte die DDR den Gewinn nicht in Erhalt und Weiterentwicklung der veralteten Betriebe. Mit der Wende kam auch hier das Aus. Der Versuch, den Betrieb als GmbH zu privatisieren, misslang. Heute werden in den alten Hallen am Mühlgraben Liköre und Spirituosen fabriziert. Das Brandenburgische Textilmuseum Forst besitzt auch einen Museumsladen, der über allerlei Textilien und Themenspezifische Literatur verfügt. Der Autor hat einen Stoffrucksack erstanden…
Bei Forst fällt einem zuallererst das Stichwort „Rosen“ ein. Der Spaziergang von der Innenstadt kommend,
entlang der Neiße zum Rosengarten ist einfach schön. Der Garten ist auch im Winter einen Abstecher wert. Forst punktet inzwischen mit seinen Fahrradwegen. Hunderte Kilometer ausgebaute Radwege an Wäldern, Seen und Moorkomplexen entlang, bis ins benachbarte Polen, laden zum Entdecken ein. Auch die Stadtkirche St. Nikolai hat eine Überraschung zu bieten. Es ist die letzte Ruhestätte des sächsischen Premierministers Heinrich Graf von Brühl. Ja genau der von den Brühlschen Terrassen in Dresden. Der liegt begraben in der Stadtkirche zu Forst? Nu gugge mol on! Die Lebensgeschichte dieses Mannes zu beschreiben, ist ein eigener Artikel. Nur so viel, beliebt war der Staatsmann seinerzeit nicht. Er galt als verschwendungssüchtiger Intrigant, der das Kurfürstentum Sachsen in den wirtschaftlichen Abgrund führte. Dass seine Überreste in Forst „ausgelagert“ wurden, hatte demnach gute Gründe.
In Forst wird der Ausflügler noch um einiges mehr fündig: Der Nachbau des Klinger Mammuts im Kreishaus, das Dokumentationszentrum „Archiv verschwundener Orte“ über die Ortsumsiedlungen im Zuge der Braunkohleförderung oder die Gebäude der Bauhaus-Ära. Vielerlei Dinge harren auf Bestaunen in der Grenzstadt. Dass hier nach „alter Forschter Tradition“ bratfertige doppelbrüstige Fleischtauben zum Verzehr erhältlich sind, möchte ich als Vegetarier nur in meinem Schlusssatz erwähnen.
Daniel Ratthei
Mein Tipp: Es gibt großartige Radtouren in und um Forst. Von „Mexiko“ nach „Jerusalem“ bis zu den „Alpen“. Hier handelt es sich um einen Ortsteil, eine Wohnsiedlung und bei den „Keun´schen Alpen“ um eine kleine Hügellandschaft. Am besten fährt man nach Forst mit der Bahn. Von Cottbus dauert die Fahrt keine zwanzig Minuten. Von Görlitz knapp zwei Stunden. Dafür sind die Fahrräder dabei.