Liebe Marion Brasch, du bist am 25.9. mit einem Programm unter dem Titel „Bleiben will ich, wo ich nie gewesen bin“ gemeinsam mit dem Schauspieler Andreas Keller in der Kammerbühne Cottbus zu Gast. Es ist ein Abend für deinen früh verstorbenen Bruder. In welcher Form erinnert ihr euch an Thomas Brasch?
In einer Art Collage aus Texten von und über ihn, kleinen Szenen, Fotos und Filmschnipseln.
Habt ihr Erinnerungsstücke ans Licht geholt, an die man sich beim Wiederhören schnell erinnern wird oder wird man sich wundern, was man Einzigartiges von Thomas Brasch vergessen hatte?
Ich glaube, beides. Es kommen ein paar Gedichte vor, die man vielleicht schon mal gehört hat, wenn einem der Name Thomas Brasch nicht ganz unbekannt ist. Und wir zeigen auch seine legendäre Dankesrede beim Bayerischen Filmpreis 1981, als er sich neben Franz Josef Strauss stehend bei der Filmhochschule der DDR für seine Ausbildung bedankt hat. Aber es gibt auch ganz unbekanntes und überraschendes Material. So hat zum Beispiel meine Tochter einen Kurzfilm über die Flugblatt-Aktion gemacht, mit der Thomas und seine Freunde 1968 gegen den Einmarsch der Truppen des Warschauer Vertrages in Prag protestierten, aber man wird ihn durchaus auch von seiner witzigen Seite kennenlernen.
Thomas Brasch beobachtete die Gesellschaft scharfsinnig, war literarisch ebenso produktiv wie filmisch und auf dem Theater, und er schrieb unvergesslich eindringliche Texte, seine literarische Hinterlassenschaft scheint sich jedoch trotzdem nur noch in Literaturseminaren zu halten. Nur in ganz ausgewählten Buchhandlungen findet man ohne bestellen zu müssen noch seine Bücher. Grämt dich das still oder nimmst du das eher wie eine Kampfansage?
Natürlich ist es schade, dass Thomas Brasch nicht mehr so richtig „vorkommt“, aber das ist der Lauf der Dinge. Sogar Heiner Müller droht immer mehr in Vergessenheit zu geraten. Aber immerhin werden die Shakespeare- und Tschechow-Übersetzungen meines Bruders gespielt, weil die so unglaublich gut sind.
Denkst du manchmal, dass seine freche Klugheit, seine Nachdenklichkeit oder auch andere seiner Eigenschaften in unserer Zeit dringend nötig wären?
„Freche Klugheit“ trifft es. Ich glaube, es gibt nur wenige Leute, die genau diese beiden Eigenschaften auf sich vereinen. Leute, die Widersprüche erkennen, sich an ihnen reiben und sie in einer klaren, unmissverständlichen Art beschreiben können. Thomas hat gesellschaftliche Widersprüche immer gebraucht, um schreiben zu können, und die Gesellschaft hätte Leute wie ihn dringend nötig, damit ihre Widersprüche und ihre Bigotterie offengelegt werden.
Kathrin Krautheim
Info
„Bleiben will ich, wo ich nie gewesen bin.“
Ein Abend für Thomas Brasch. Mit Marion Brasch und Andreas Keller
25.09., 19.00 Uhr, Kammerbühne des Staatstheaters
www.staatstheater-cottbus.de