Stippvisite bei Iphigenie auf Guben
Die heilige Corona war eine frühchristliche Märtyrerin. Sie wurde an zwei herabgebogenen Palmen gefesselt und beim Emporschnellen in Stücke gerissen. Festhalten bitte: Sie ist die Schutzpatronin des Geldes (Soforthilfe), der Fleischer (Tiermarkt Wuhan) und der Schatzgräber (Pharmaindustrie).
Corona ist aber auch ein wunderschöner Vorname. Um eine berühmte Namensträgerin soll es heute gehen, denn der Begriff Corona kann positiv besetzt sein. Dafür begebe ich mich nach Guben, denn Corona Schröter erblickte 1751 in unserer Neißestadt in der Niederlausitz das Licht der Welt. Um zu erklären wer Corona Schröter war, müssen wir uns ins Zeitalter der Aufklärung hineinversetzen, in jenes widersprüchliche Jahrhundert, in welchem sich das Abendland neu erfinden wollte und starre Strukturen zu überwinden sehnte. Ein Jahrhundert, das eine goldene Generation von Künstlern und Freidenkern hervorrief und schlussendlich in der französischen Revolution mündete. Mehr Umwälzung geht nicht.
Auch Corona Schröter führte als Sängerin, Schauspielerin, Malerin, Musikerin und als eine der ersten Künstlerinnen, die ihren Lebensunterhalt selbst sichern konnte, ein unkonventionelles Leben. In Guben wuchs sie in einem musischen Elternhaus auf. Der Vater war Regimentsmusiker und betrieb das, was wir heute musikalische Früherziehung nennen. Als Corona drei Jahre alt war, verließ die Familie Guben und zog über Umwege nach Leipzig.
Der Vater übertrieb das Gesangsstudium der Tochter so arg, dass ihre Stimme dauerhaften Schaden nahm. Dieser Umstand muss beachtet werden: Obwohl Corona Schröter nur mit Mühe die hohen Töne erreichte, wurde sie eine der wichtigsten Sängerinnen ihrer Zeit. Man bekommt eine Ahnung davon, wie viel Ausdruck und Talent in ihrer Liedgestaltung steckte.
In Leipzig kommt es zur schicksalhaften Begegnung zweier junger, fast gleichaltriger Menschen. Der Jurastudent Johann Wolfgang Goethe (Jahrgang 1749) lernt Corona Schröter kennen. Es bleibt im Reiche der Spekulation in welcher Beziehung Schröter und Goethe genau zueinander standen. Fakt ist, die gefeierte Sängerin hinterließ starken Eindruck auf den Poeten. Als er Jahre später in Weimar am Hofe des Herzogs Carl August von Sachsen-Weimar-Eisenach verschiedene Funktionen im Staatsdienst, aber auch am höfischen Liebhabertheater übernahm, holte er Corona Schröter als Hofvokalistin und Kammersängerin in das thüringische Kulturmekka.
Schröter kommt nicht allein. An ihrer Seite ist Wilhelmine Probst. Die beiden Frauen sind unzertrennlich und besuchen die gesellschaftlichen Kreise zusammen. Wilhelmine Probst wird als eine Art zuverlässige Tugendwächterin beschrieben, die Corona vor zu viel Eifer ihrer Verehrer schützte. Nun ja. Wilhelmine Probst wird bis zum Tode der Schröter die Begleiterin sein. Die Frage darf gestellt werden, ob die kinderlose, unverheiratete Schröter sich nur etwas aus Männern machte? Es ist peinlich, wenn in diversen Publikationen immer wieder herausgestellt wird, welche berühmten Herren der Aktrice verfallen waren. Als wäre dies eine Maßeinheit für Bedeutung. Es muss anstrengend sein, als „Muse“ zu gelten. Die Buddys Goethe und Herzog Carl August galten als berüchtigt. Carl August stellte nicht nur Corona Schröter nach, ihm wurden auch 38 außereheliche Kinder zugeschrieben.
Corona erlebt in Weimar den zweiten künstlerischen Frühling. Die gebildete Frau spricht mehrereSprachen. Sie malt viel, unter anderem Selbstbildnisse. Sie unterrichtet Schauspiel und Gesang. Sie komponiert Lieder. Eine der ersten Versionen des „Erlkönigs“ stammt aus ihrer Feder.
Die sicherlich größte Premiere feierte sie 1779 in der Titelrolle der Uraufführung von Goethes „Iphigenie auf Tauris“ in der Prosafassung. Goethe selbst spielte den Bruder Orest. Das Stück ist ein Schlüsseltext der Weimarer Klassik. Gezeigt wird ein humaner Weg aus der Abhängigkeit in die Freiheit, am Beispiel einer selbstbestimmten Frau. Es wird die Rolle ihres Lebens. Corona Schröter und Iphigenie, das passt.
Erwähnenswert ist die Begegnung mit Friedrich Schiller. 1887 reiste er erstmalig nach Weimar um Goethe seinen „Don Carlos“ vorzustellen. Der Dichterfürst befindet sich aber auf seinem Herzenstrip in Italien. Er begegnet Corona Schröter und resümiert arg machohaft: „Sie muss in der Tat schön gewesen sein, denn vierzig Jahre haben sie noch nicht ganz verwüsten können. (…) Ihr richtiges Verdienst, glaube ich, wäre, einer Haushaltung vorzustehen.“ Er wird seine Meinung bald ändern, denn die Frau hat was drauf. Er stellt fest: „Sie liest gut, sehr gut mit Affekt und richtiger Auseinandersetzung.“ Schließlich: „Sie hat für mich das Gute, daß sie natürlich ist.“ Ein schöneres Kompliment kann ein Bühnenmensch auch heute kaum erhalten, als die Bescheinigung von Wahrhaftigkeit, Präsenz und Natürlichkeit.
Corona Schröter stirbt 1802 mit nur 51 Jahren an Tuberkulose, also an jener Lungenkrankheit, deren Erreger Robert Koch Jahre später entdeckte, ein angebliches Heilmittel erfand und einen handfesten Impfskandal auslöste… Oha. In Illmenau jedenfalls, wo Corona Schröter ihre letzten Lebensjahre verbrachte, wird sie beigesetzt. Wer sich auf ihre Spuren begeben möchte, muss nicht nach Thüringen fahren. In Guben gibt es mehrere Hinweise auf die berühmte Tochter der Stadt. Schließen will ich den Text mit Goethes Worten über sie: „Es gönnten ihr die Musen jede Gunst / Und die Natur erschuf in ihr die Kunst.“
Daniel Ratthei
Mein Tipp: Leider war der Grenzübergang nach Gubin/Polen für normale Besucher noch geschlossen (Stand Mitte Mai 2020). Man sollte also die Grenzöffnung abwarten, denn der 2012 enthüllte Gedenkstein an der Stelle ihres Geburtshauses steht auf der polnischen Stadtseite.