hermann- und radioeins-Filmkritiker berichten vom 27. FilmFestival Cottbus

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Ein düsterer Spreewald und ein bunter Tanz auf dem Vulkan
Heute war es endlich soweit. Um 19 Uhr betraten wir, die Gastkritiker*innen für hermann und radioeins über den blauen Teppich das Staatstheater, wo die feierliche Eröffnung des 27. Film Festivals Cottbus stattfinden würde.
Der Jugendstilbau bot diesem schönen Einleitungsritual des gefeierten und immer größer werdenden Cottbuser Filmfestivals eine sehr würdige Kulisse – ich gebe zu (und man vergebe mir, ich wohne ja noch nicht lange in Cottbus) dies war für mich das erste Mal im großen Haus. Da wir auch ganz oben saßen, konnte ich den beeindruckenden Bau und den festlichen Abend sozusagen aus der Vogelperspektive genießen.
Nachdem sämtliche namhaften Gäste sowie die Organisatoren durch die Moderatorin begrüßt wurden und uns die Band Sandow ordentlich eingeheizt hatte, begannt der 10. Spreewaldkrimi „Zwischen Leben und Tod“, der am heutigen Abend Premiere feierte. Ein düsterer, mythischer Spreewald und ein geheimnisvoller, fast kryptischer Anfang, in dem weder die Zuschauenden, noch Kommissar Krügers wussten, ob er sich im Dies-oder Jenseits befand, versprachen einen spannenden Krimi. Gefallen hat mir dabei, dass die Hauptfigur selbst nicht mehr Handelnder war, sondern nur aus Erinnerungen rekonstruieren konnte, was geschehen sein könnte – das hat meine Neugierde auf die beim Krimi-Genre zentralen Fragen „wer war es?“ und „warum?“ durchaus angeregt. Leider plätscherte die Handlung dann aber, ähnlich wie der Spreekahn mit dem Kommissar im Wald voller Nebel, etwas vor sich hin und der Spannungsbogen konnte meiner Ansicht nach nicht gehalten werden. Ich bin daher umso gespannter, wie die Kritik meiner Kolleg*innen und auch die der Fernsehzuschauer nach der TV Ausstrahlung am 13.11 ausfallen wird!
Ein völlig anderer Film wurde knapp darauf in der Kammerbühne gezeigt. In der Sparte „Spectrum“ spielte der polnische Streifen „Satan Said Dance“, und heidewitzka, war das ein Trip! Die Hauptfigur, die Charismaexplosion Karolyna, rebellische Jungautorin aus Polen, hat gerade ihr Erstlingswerk „Doll“ (Puppe) veröffentlicht und befindet sich in einer Art Limbus aus Selfies, Tanz, Sex, Drogen, Schreibversuchen und Familienbesuchen. Zu Beginn des Films erklärt uns ein schriftlicher Einschub, dass dieser Film eine Sammlung bunter Puzzleteile ist, die Karolynas Leben wiederspiegeln, und die dies in jeder beliebigen anderen Anordnung genauso tun können.
Die Anordnung der einzelnen Szenen, in denen wir Karolyna begegnen, sind in der Tat sehr fragmentiert:
Karolyna tanzt mit ihrer Mutter und Schwester im bräunlich-biederen Wohnzimmer –cut-   Karolyna telefoniert auf Englisch  –cut- Karolyna besucht eine futuristische, knallbunte, laute Talkshow in Taipeh (eine Szene, die visuell stark an Lost in Translation und Bill Murray’s Szene in einer Talkshow in Tokyo erinnert) –cut- Karolyna macht nackt in einem kalten Fliesenraum ein Fotoshooting mit einem roten Plüsch-Affen und albert mit dem ebenfalls nackten Fotograf herum – Karolyna überflutet das Bad – cut- Karolyna verkriecht sich unter ihre gemusterte Bettdecke – cut- Karolyna würgt über der Toilette- Nach jedem Cut geht es weiter und man weiß nie, in welcher Lebens und Gefühlslage man sie beim nächsten Shot erwischt.
Der ganze Film folgt Karolyna so durch ihr Achterbahnleben, an einigen Stellen scheint der Erzählstrang tatsächlich vorwärts zu laufen, dann wiederum begegnen wir auch mal einer Szene, die wie das Vorher einer anderen Szene aussieht. Zwischendrin hören und sehen Zuschauende auch mal nur ihre Stimme zu einem Standbild, das sich im Laufe des Films immer mehr in ein manisches Puppengesicht verwandelt. Der Film „Satan Said Dance“ ist eine Wucht an Farben, Kameraperspektiven und Klängen, eine rasante Steilfahrt mit eine Frau, bei der man nie sicher ist, ob sie sich gerade selbst zerstört oder immer wieder neu erfindet. Entscheiden möchte ich mich hier auch nicht, aber ich möchte Karolyna und ihren Tanz auf dem Vulkan in jedem Fall jede*r Festivalbesucher*in ans Herz legen.

Judith Lippelt

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