hermann- und radioeins-Filmkritiker berichten vom 27. FilmFestival Cottbus

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Pretenders – Lügen, Illusionen und ein unerwartetes Ende

Freitag, 10. November
In Psychothriller zu gehen, kostet mich immer große Überwindung- das liegt nicht etwa an mangelnder Qualität innerhalb dieses Genres, sondern an meiner eigenen Schreckhaftigkeit. Aber die Beschreibung des baltischen Films erweckte meine Neugier ….und außerdem hat mich „mein“ Spektrum bisher auch nicht enttäuscht. Also ab in die Kammerbühne, und Vorhang auf für „Pretenders“.
Anna und ihr Freund Juhan fahren als urlaubende House-Sitter in die Luxusvilla eines reichen befreundeten Pärchens an die abgelegene Küste – im Auto sprechen sie darüber, dass Anna schwanger war, aber beide das Kind nicht bekommen haben. Warum genau, das erfahren wir nicht.  Schnell merkt man, dass die beiden eine gesunde Kommunikation miteinander verloren haben, Anna reagiert gereizt auf Kleinigkeiten, Juhan kriegt sein Maul auch dann nicht auf, als zwei junge Männer am Strand ihre Sachen durchwühlen.
„Was ist denn nur los bei denen?“ fragt man sich, und die Frage drängt sich im Film immer weiter auf, vor allem als die beiden ein junges Camper-Pärchen in der Villa aufnehmen. Anna erschafft sich vor den Fremden plötzlich immer mehr ihre eigene Realität. Sie fängt an, die schicken Designerkleider ihrer reichen verreisten Freundin anzulegen und zu behaupten, das Haus gehöre Juhan und ihr; außerdem führten beide eine offene Beziehung. Juhan’s Reaktion, und das verblüfft fast noch mehr als Anna’s Luftschlösser,ist daraufhin keinesfalls Konfrontation. Nach einem kurzen Fluchtimpuls entscheidet er sich, zu bleiben, und in Anna’s Theater mitzumachen, ihre Trümpfe gegen sie auszuspielen. Doch da in diesem Machtkampf aus Lügen und Illusionen auch die beiden anderen mithineingezogen werden, eskaliert die Situation sehr bald, und sehr intensiv….
Der Film „Pretenders“ ist ein Psychothriller mit gleich mehreren unerwarteten Wendungen. Wie darin Worte und Sätze zu Waffen werden, erinnert fast ein bisschen an die Theaterstücke Harold Pinters. Die zwischenmenschlichen Abgründe zwischen Anna und Juhan erweisen sich immer wieder als noch tiefer, als zuvor geahnt werden konnte. Irgendwann verschwimmen die Grenzen zwischen Spiel und Realität, und auch die Zuschauenden wissen nicht mehr, was sie wem glauben sollen. Dieses Unbehagen  wird durch die beängstigend unpersönliche , lupenreine Villa mitten im Wald, dem Ur-Ort des Unheimlichen, noch verstärkt. All das macht „Pretenders“ zu einem sehr sehenswerten Psychothriller, den auch ich -trotz schwacher Nerven- mir gern angeschaut habe!

Judith Lippelt

Bild: Großer Auftritt: Filmkritikerin Judith Lippelt bei radioeins-Filmauskenner Knut Elstermann. Foto: TSPV

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