Derzeit fristet Holz im deutschen Wohnungsbau ein Schattendasein. Doch langsam setzt sich die Erkenntnis durch, dass der nachwachsende Rohstoff in Sachen Nachhaltigkeit, Wirtschaftlichkeit und gesundes Wohnklima herkömmlichen Baustoffen den Rang ablaufen könnte. Bei Stockholm finden sich bereits Wohnhäuser mit dreizehn Etagen, in Amsterdam und Wien wachsen derzeit hölzerne Wolkenkratzer mit mehr als zwanzig Stockwerken über 80 Meter in den Himmel. In Schweden überlegt man ernsthaft, ob der klimaschädliche Betonbau in etwa 15 Jahren gesetzlich eingeschränkt werden soll.
Lang ist’s her – da war die waldreiche Lausitz das europäische Zentrum für industriellen Holzhausbau! Nach dem Ersten Weltkrieg produzierte in Niesky die größte Holzhausfabrik auf dem Kontinent: Die Christoph & Unmack AG lieferte auch nach Übersee. Im Jahre 1936 kam aus Niesky das mit 118 Metern höchste Holzbauwerk der Welt, der Funkturm des Senders Gleiwitz. Die Holzbauten wurden schon damals als preiswert, dauerhaft, wärmedämmend, zweckmäßig und modern beworben. Die etwa einhundert Musterbauten in Niesky, zwischen 1918 und 1940 erbaut, dienten nicht nur dazu, das Käuferinteresse zu wecken, sondern waren gleichzeitig Wohnhäuser für die Belegschaft, wie das Kutscherhaus.
Vier Werkssiedlungen wurden errichtet, 1935 die katholische Kirche St. Josef in der Rosenstraße aus Holzfertigteilen erbaut. Die meisten Holzhäuser sind im Wesentlichen in ihrer Originalsubstanz erhalten, man sieht sie in der Blockhaus-, Christoph-, Fritz-Schubert- und Konrad-Wachsmann-Straße.
Am westlichen Stadtrand, in der Goethestraße, wurde im Jahre 1927 das heutige Konrad-Wachsmann-Haus errichtet. Dieses einstige Direktorenhaus für die Familie eines Vorstandsmitglieds sowie das Sommerhäuschen für Albert Einstein in Caputh bei Potsdam sind die einzigen von Wachsmannn projektierten Bauten, die deutschlandweit noch zu finden sind. Die Dauerausstellung im Erdgeschoss des Wachsmannhauses thematisiert die Holzbauten der Moderne. Auch kann man sich in vielen Reprint-Musterhauskatalogen über die einstige Vielfalt der angebotenen Holzbautypen informieren. In einem aus den 1930er Jahren heißt es: ›Der Wohnraum groß und geräumig, damit man frei atmen und sich bewegen kann. Davor die große ebenerdige Terrasse, offen zum Garten und der Sonne‹. Die Hauskosten schwankten und richteten sich nach dem Gewicht des aktuellen Holzpreises.
Als Sohn einer jüdischen Apothekerfamilie in Frankfurt (Oder) geboren, ging Konrad Wachsmann als Pionier des industriellen Bauens in die Geschichte ein. Sein berufliches Rüstzeug erhielt er auf der Berliner Kunstgewerbeschule, anschließend studierte er hier Architektur. Professor Hans Poelzig gab ihm schließlich den Rat, sich in Niesky zu bewerben. 1926 kam Wachsmann in die Oberlausitz und wurde 1929 zum Chefarchitekten der Christoph & Unmack AG berufen. Hier perfektionierte er die Massenproduktion von Holzfertigteilbauten und fand große internationale Anerkennung. In der Rückschau erinnert sich Wachsmann: »Es wurde der entscheidende Schritt meines Lebens. Eben hatte ich in Paris noch voller Verzweiflung nach einem Weg gesucht. Und hier, mitten auf dem Lande, in der tiefsten Provinz, fand ich seine erste Spur. In den Holzhallen der Fabrik öffnete sich mir die Welt der Maschinen, der Technologien, der Anfänge des industriellen Bauens. Alles was dann kam, in Berlin, New York, Tokio, Chicago, London, Moskau, Paris, … oder Warschau geschah, das alles begann in Niesky… in dieser Holzhausfabrik entdeckte ich den Weg, der mich zum Wendepunkt im Bauen führte«.
Text und Fotos: Kerstin & André Micklitza
Titelfoto: Reprint-Musterhauskatalog „Neue Eigenheime“, Chrisoph & Unmack AG
Info
Vom Bhf. Cottbus nach Horka, vom Bahnhofsvorplatz verkehrt die Buslinie 131 nach Niesky (Haltestelle Zinzendorfplatz).
Konrad-Wachsmann-Haus, Goethestraße 2,
So–Do 10–16 Uhr
www.wachsmannhaus.niesky.de