„Zum Tanzen gehört das Denken”

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 Vielgereister Jörg Mannes choreographiert „Shakespeares Sonette”

 Mit Jörg Mannes hat der Cottbuser Ballettdirektor Dirk Neumann wieder einen renommierten Choreographen für seine wunderbare Ballettkompagnie nach Cottbus geholt. Mannes ist 1969 in Wien geboren, hat dort seine Ballettausbildung begonnen, die ihn nach Monte Carlo, London und New York City führte. In der Wiener Staatoper fand er sein erstes Engagement. Dem mittlerweile Neunzehnjährigen bot 1988 der große russische Tänzer Rudolf Nurejew (1938 – 1993) ein halbjähriges Stipendium in Paris an.

„Das war richtig spannend”, erzählt er im Hermann-Gespräch. „Ich fühlte mich wieder als Anfänger. Das bedrückte mich nicht, sondern spornte an. Das Wichtigste, was ich für mein Ballettleben mitnahm, war die Einsicht, dass sich Tanz nur zur Perfektion entwickelt, wenn er sich nicht als bloßes Exerzieren versteht, sondern mit Denken verbindet. Was du tanzt, muss durch den Kopf.”

So nach sieben Jahren reifte in ihm die Erkenntnis, dass er eigentlich noch anderes wollte. „Ich war als Tänzer eher schüchtern. Alles andere als eine ,Rampensau‘. Mir gefiel alles, aber lieber sah ich es mir von hinter der Bühne an. In mir wuchs der Plan, mehr Einfluss auf Ballettinszenierungen nehmen zu können. Ich wechselte die Seiten und wurde Choreograph.”

Zuletzt war er als Ballettdirektor an der Staatsoper Hannover tätig, die er nach 13 Jahren festem Engagement und über 30 Chorographien für ein begeistertes Publikum verließ, um sich freiberuflich durch die Ballettwelt zu bewegen. Seine jüngste Station ist nun Cottbus. Worin bestand und besteht für ihn der Reiz, als Choreograph zu wirken? „Es übt auf mich eine faszinierende Wirkung aus, zu planen, Ideen umzusetzen, mit Tänzerinnen und Tänzern zusammenzuarbeiten. Der Tanz ist ihre vergrößerte  Körpersprache. Die will ich zum Klingen bringen. Nicht indem ich ihnen ein Exerzieren abzwinge, sondern unter Nutzung ihrer eigenen Kreativität.”

Jörg Mannes zählt unter den Choreographen zu den großen Geschichtenerzählern. Sicher hat das mit seiner Sicht auf die Tänzerinnen und Tänzer zu tun: „Jeder auf der Bühne verkörpert eine Geschichte. Alle Bewegung ist Teil seiner Lebensgeschichte. Oder wir erzählen mit unserer Choreographie eine Geschichte, in die man sich hineindenken muss. Aber auch dann werden der Tänzerin oder der Tänzer ihre Figur durch eigene Erfahrungen bereichern.”

Der leidenschaftliche Choreograph scheint ein ebenso leidenschaftlicher Literaturliebhaber zu sein. Sehr oft geben die Großen der Weltliteratur seinen Ballettstücken den Hintergrund oder die Vorlage. Getanzt vollziehen sich Menschenschicksale auf der Bühne. Dirk Neumann überraschte er mit dem Angebot, eine Choreographie nach Shakespeares Sonetten zu schreiben und mit der Tanzcompagnie des Staatstheaters zu gestalten. Sonette sind ziemlich streng geformte Verse, die eine eigenartige, körperlose Liebe besingen. Die von Shakespeare widmen sich vor allem einem jungen Mann und einer geheimnisvollen „Schwarzen Dame”.

„Sonette haben natürlich keine Handlung, aber viele Gefühle, Emotion, Liebes- und Lustreize.  Unsere Tanzcompagnie wird diesen nachgehen, nachspüren, nachfühlen. Sie werden auf Abgründe und Höhepunkte stoßen, die die Geschichte auch ohne Action spannend machen.”

Verstehe ich das richtig, Liebe auf Abstand, aus der Ferne, gewissermaßen, aus welchen Gründen immer, Kontaktbeschränkungen zu Shakespeares Zeiten? Jörg Mannes wartet mit einem Überraschungseffekt auf: „Shakespeare hat die Sonette in Pestzeiten geschrieben, als die Menschen in Quarantäne oder flüchten mussten und Theater immer wieder geschlossen waren.”

Das war eine Zeit von Leiden und Leidenschaften. Die für die Choreografie gewählte Musik von Beethoven und heutigen Zeitgenossen wir Yves Frahm und Arash Asajian tragen dem wohl Rechnung.

Klaus Wilke

 

 

 

 

 

 

 

 

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