„Keiner geht zufällig nach al-Scham”

0

Aufbau, 282 Seiten, 20 Euro

Diese Sprache! Zupackend. Bildreich. Originell. Oft aphoristisch zugespitzt. Es ist ein Genuss, einen solchen Text zu lesen, der sich unter der Autorschaft des türkisch-kurdischen Franzosen Mahir Guven zu dem Roman „Zwei Brüder” (Aufbau, 282 Seiten, 20 EUR) formt. Eine hochaktuelle Geschichte, über die man lange diskutieren kann. Zwei Brüder in Paris nehmen eine ganz unterschiedliche Entwicklung. Der eine geht schwerer, aber ehrbarer Arbeit nach, fährt wie der Vater Taxi. Der andere macht sich als Assistenzarzt nach Syrien, nach al-Scham, davon. Aber eines Tage steht er wieder vor der Tür. Ein Rückkehrer. Beargwöhnt, verdächtigt. Ein Anwalt meint: „Keiner geht zufällig nach al-Scham.” Kann ihm der Taxifahrer-Bruder trauen? Gilt die Devise des Vaters:  „Muslimisch unbedingt? Blödsinn. Wichtig ist Mensch.” Wie sich entscheiden? Guven weiß, seine Leser zu binden.

Eulenspiegel/Neues Leben, 96 Seiten, 7 €

Wenn es eines Beweises bedarf, dass auch ein Zweihundertjähriger noch ganz schön jung ist und uns Heutigen etwas zu sagen hat, kann das Büchlein „Fontane to go” (Eulenspiegel/Neues Leben, 96 Seiten, 7 EUR) dafür dienen. Es versammelt Zitate über Zitate aus Romanen, Reportagen, Briefen und Gedichten. Da sind Kurzweil und Schmunzeln angesagt. Drei Kostproben. „Gute Verdauung ist besser als eine Million.” „Eine Frau, die nicht rätselhaft ist, ist eigentlich gar keine.” „Mancher ist tot und weiß es nicht.” „Der Deutsche lügt, wenn er höflich ist.”

Ullstein, 270 Seiten, 22 €

Wenn das keine pikante Situation ist: Einer bittet seinen Freund, ihm einen Tag lang seine Wohnung zu überlassen, weil er ein Rendezvous hat. Wir sind als Leser dann aber nicht in der Wohnung dabei, das wäre dekameronesk. Aber der georgische Autor Archil Kikodze führt seinen Helden und damit uns in seinem Roman „Der Südelefant” (Ullstein, 270 Seiten, 22 EUR) erlebnisreich durch die Landeshauptstadt Tbilissi. Wir erleben Flug, Flucht und Fluch. Der mit keinem Namen versehene Protagonist, ein Ex-Filmemacher und jetzige Werbetexter, durchquert im Spaziergang die Stadt, hat viele Begegnungen und Erinnerungen, die in ihrer wunderbar erzählten Fülle wie ein Flug erscheinen. Der ist sozusagen mit einem Fluch verbunden, dem Fluch der Vergangenheit mit  persönlicher Schuld und politischen Lasten, ex-sowjetischen und   post-sowjetischen. Die Flucht aus der Gegenwart in Geschichte und Tradition hat aber nur ein Ziel: wieder die eigene Wohnung nach dem Liebesabenteuer des Freundes.

Kiepenheuer @ Witsch, 304 Seiten, 22 Euro

Ein 19-jähriger Tennis-Debütant, Paul,  bekommt in  seinem Verein für ein Doppelspiel eine fast 30 Jahre ältere, verheiratete Hausfrau, Susan, zugelost. Was  für den Sport, gedacht war, erweist sich als Schicksal (Los) für das Leben. Das ist die Ausgangssituation in Julian Barnes‘ neuem Roman „Die einzige Geschichte” (Kiepenheuer @ Witsch, 304 Seiten, 22 EUR). Susan, die von ihrem Mann geschlagen wird, findet in der jungen Liebe Beglückung. Für Paul ist diese Liebe eine neue Welt. Eine romantische Liebesgeschichte, die durch Susans Alkoholkrankheit zerstört wird. Doch noch lange hält Paul  zu Susan, lässt nicht los. Dass aus dem Los von einst Pauls später unvermeidliches Losreißen von der Demenzkranken wird, ist folgerichtig. Barnes ist wieder der lockere Erzähler, der auch ohne Action-Geballer Licht in das Dunkel menschlichen Versagens bringen kann.

Klaus Wilke

Teilen.

Hinterlasse eine Antwort