„Liebe auf den 1000sten Klick“

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oder wie vollvincent in seinem Beruf seine Berufung entdeckte

Der Cottbuser Fotograf und Videokünstler vollvincent ist an dem Punkt angelangt, von dem er vor noch gar nicht allzu langer Zeit nicht einmal zu träumen gewagt hat. Er tourt mit den ganz Großen der Metal-Szene durch die Lande, fotografiert und filmt ihre Live-Konzerte und porträtiert Backstage in ureigenen privaten Momenten die Persönlichkeiten, die sich hinter den Künstlern verbergen. Erreicht hat er all dies durch unnachgiebiges Nach-Vorne-Schauen und den ungebrochenen Glauben an sich selbst.

Im Grunde hat sich vollvincent einen unbewussten Traum erfüllt. Einen Traum, der sich erst nach und nach im Laufe seines Werdegangs zu kristallisieren begann. Angefangen hat alles recht ziellos und ohne wirklichen Plan: „Irgendwas mit Musik sollte es sein…“ So begann vollvincents berufliche Laufbahn 2011 – mehr aus der Not heraus und ohne zu wissen, wo es im Leben einmal hingehen soll – mit einem mehr oder weniger durch glückliche Umstände zustande gekommenen Praktikum bei der international renommierten Metal-Zeitschrift Metal Hammer. Für diese schrieb er alsbald Konzertrezensionen und Plattenkritiken, führte Interviews mit Bands und tauchte bei den unzähligen Konzerten und Festivals, die er dafür besuchte, immer tiefer in das Szene-Geschehen ein.

Als nächster Schritt folgte 2012 die Selbstständigkeit. Die darauffolgenden vier Jahre waren ein wahrer Kraftakt für ihn. Denn nun hieß es, den Künstlern näherzukommen, Kontakte zu knüpfen und sich auf After-Show-Parties und Festivals die Nächte um die Ohren zu schlagen. Obwohl vollvincent zeitweise für zwölf Magazine gleichzeitig schrieb und nicht selten mehr Aufträge annahm, als für ihn eigentlich realisierbar waren, konnte er dadurch nicht mehr als das für ihn nötige Existenzminimum bestreiten. Nicht zuletzt, weil durch den digitalen Wandel immer mehr Printmagazine eingestampft und immer lausigere Honorare für die freischaffenden Schreiberlinge gezahlt wurden. Ein frustrierender Umstand, zumal für diese Art von Job ein immer breiter gefächertes Hintergrundwissen von Nöten war, um über die Vielzahl an Bands im Bilde zu bleiben.

Vincent Grundke (vollvincent) Portrait – by Carsten Brand

Das Bild ist das Medium der heutigen Zeit

Eine Umorientierung war nötig, wollte er nicht auf der Strecke bleiben. In Anbetracht der Erkenntnis, dass das Bild das Medium der heutigen Zeit sei, konzentrierte er sich mehr und mehr auf das Fotografieren, welches bis dahin bei seiner Arbeit einen eher untergeordneten Stellenwert einnahm. Und so flammte eine alte Leidenschaft aus Jugendzeiten wieder auf, von der er damals nach niederschmetternden Kritiken aus dem Internet schweren Herzens Abstand genommen hatte.

Das Interessante hierbei war, dass der Kontext unverändert blieb und er inhaltlich im Grunde das Selbe tat wie zuvor: Es ging noch immer darum, Stimmungen einzufangen und die Geschichten von ausschweifenden Nächten, langen Touren und dem, was sich hinter den Kulissen abspielt, zu erzählen – mit dem Unterschied, dass diese nun in einzelnen Momenten visuell per Knopfdruck festgehaltenen werden konnten. Momente, die sich nur schwer in Worte fassen ließen.

Dies war der Beginn einer manischen Phase, eines Dauerrausches, wie ihn wohl lediglich von ihrer Arbeit besessene Workaholics durchleben. Um das Handwerk des Fotografierens in kürzester Zeit autodidaktisch zu erlernen und so gut wie nur irgend möglich zu beherrschen, besuchte er im Laufe des nächsten Jahres wöchentlich vier bis fünf Konzerte, saß nach diesen bis in die frühen Morgenstunden an den geschossenen Bildern, um ihnen den letzten Feinschliff zu verpassen und sie noch am selben Tag an die entsprechenden Bands zu verschicken. Gegessen wurde nebenbei und unterwegs, geschlafen selten mehr als vier Stunden pro Nacht. Im Mittelpunkt stand der unbedingte Wille, voll und und ganz auf den eigenen Füßen zu stehen und von der wiederentdeckten Liebe zur Fotografie den eigenen Lebensunterhalt bestreiten zu können. Von jetzt auf gleich entsagte er vollständig dem Alkohol, der bis dahin milieubedingt ein fester Bestandteil seines Arbeitsalltages war. Doch der Kater danach und ein tatsächlich fokussiertes Arbeiten ließen sich für ihn nicht miteinander vereinbaren.

Erste positive Resonanzen

Nach vielen Wochen harter Arbeit gab es erste positive Resonanzen, darunter auch von so mancher Szenegröße und binnen kurzer Zeit entwickelte sich das Ganze zu einem sich selbstverstärkenden Gefüge: Die immer weiter wachsende Anerkennung innerhalb der Szene verschaffte seiner Motivation und Kreativität steten Aufschub und mit diesen der Qualität seiner Bilder, welche dadurch wiederum von immer mehr Seiten nachgefragt wurden. So wurde das von ihm noch immer als Notwendigkeit praktizierte Texten mehr und mehr zur Nebensache, da er es immer besser verstand, mittels einmaliger Momentaufnahmen die eigentlichen Geschichten des erlebten Abends zu erzählen.

Im Juni 2017, nach Monaten nahezu vollständiger Selbstentäußerung kam dann der Ritterschlag: Nach einem Konzert von System of a Down – den Helden seiner Kindheit, welche seine musikalische Entwicklung maßgeblich mitprägten – meldete sich deren Management, um seine Bilder zu veröffentlichen. Dies war für ihn die endgültige Bestätigung, den richtigen Weg eingeschlagen zu haben.

Noch im selben Monat ging er mit seiner eigenen Website an den Start, für die er inzwischen ein weitreichendes Archiv zusammengestellt hatte. Damit wendete sich das Blatt nun endgültig und seine Schaffenskraft wurde zum Selbstläufer. Immer mehr Szenegrößen wie Deserted Fear oder Der Weg einer Freiheit buchten vollvincent für ihre Touren. Sogar auf den großen Metal-Festivals wie Wacken, Summer Breeze oder Full Force hatte er inzwischen die Ehre, offizieller Festival-Fotograf sein zu dürfen. 2018 begleitete er Knorkator auf ihren Touren und überall sonst.

Doch für Stillstand ist in vollvincents künstlerischem Schaffensprozess kein Platz vorgesehen, weshalb er sein Tätigkeitsspektrum inzwischen auf die Produktion im audiovisuellen Bereich ausgeweitet hat.

Parkway Drive @ Leipzig – by vollvincent

Videoproduktion mittlerweile zu Haupttätigkeitsfeld herangereift

Dies begann 2018 mit der Produktion eines Musik-Videos für seine eigene Band VERDERVER. Wieder aus der Not heraus – da es schlicht an Geld mangelte – übernahm er diese mal eben selbst. Seitdem wächst auch hier die Nachfrage stetig. Nachdem er inzwischen zehn Musik-Videos, die offizielle Festival-Aftermovie-Produktion für das Euroblast und seine erste Reportage über eine Streetart-Aktion vom Cottbuser Urban Art Team in Warschau produziert hat, arbeitet er derzeit an seinem ersten Langzeitprojekt, einer Dokumentation über die Band Knorkator. Damit ist die Videoproduktion mittlerweile zu seinem Haupttätigkeitsfeld herangereift.

Von Beginn an war vollvincent davon überzeugt, mit viel Arbeit und Geduld das erreichen zu können, was er anstrebt, jedoch stets in dem Bewusstsein, dass, um die richtigen Geschmäcker zu treffen und wahrgenommen zu werden, immer auch ein Fünkchen Glück dazugehört. Im Angesicht der Unmenge sozialer Probleme und der sich uns tagtäglich darbietenden strukturellen Ungerechtigkeiten sieht er sein künstlerisches Schaffen als einen Weg, etwas Produktives zu dieser Gesellschaft beizutragen und sinnstiftend zu agieren. Dieses Bestreben zeigt sich klar und deutlich in seinen Arbeiten, in denen zumeist die Gemeinschaft und die sie verbindenden Elemente im Mittelpunkt stehen, wo Differenzen zwischen Individuen beiseite gelegt werden, um vereint durch die Musik in der Ekstase des Momentes aufzugehen und geistig-seelisch miteinander zu verschmelzen. Das Erleben dieses gemeinsamen Miteinanders, dass sich quer durch sein Werk zieht, löst beim Betrachten etwas aus, regt an zum In-Sich-Gehen. Denn es steht in einem eklatanten Gegensatz zu der in der heutigen Zeit allzu oft propagierten Kultur des Wettbewerbs, in der Ichbezogenheit und Egoismus als etwas Positives, da für das Eigeninteresse von Vorteil gelten. Es sind Bilder, die sich einprägen und, wenn oft auch nur implizit, zum Nachdenken auffordern. Eine Tätigkeit, die in der Schnelllebigkeit unserer Zeit immer weniger Platz findet und so oft gänzlich auf der Strecke bleibt.

 Pinchas Flemming

 

Info:

vollvincent.com
instagram.com/vollvincent

 

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