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„Gott hat eben einen rabenschwarzen Humor”

 Es „walsert” wieder. Das allein ist ein Wunder, wie der mittlerweile 92-jährige Schriftsteller Martin Walser Jahr um Jahr ein neues Buch hervorzaubert. Nach zuletzt „Statt etwas oder Der letzte Rank” (2017) und „Gar alles oder Briefe an eine unbekannte Geliebte” (2018) legt er nun „Mädchenleben oder Die Heiligsprechung” (Rowohlt, 90 Seiten, 20 EUR) in Leserhände. Wer auf Walser eingeschworen, ist, wird sich begeistert darauf einlassen. Wer nicht, wird – wie zuletzt immer – die Stirn runzeln und mit den Achseln zucken. Protagonistin ist diesmal Sirte Zürn, deren Familiennamen Walser-Jünger einem Helden seiner früheren Bücher zuordnen, dessen Tochter sie ist. Aber was für ein Mensch, klug, eigenständig, aufmüpfig und – natürlich – eine Schreiberin. Eine seltsame Menschin, die Wunder vollbringt, einem Raben das Singen beibringt und eine Frau (Aphorismen) von den Misshandlungen ihres Trinker-Manns befreit. Die sich oft verweigert, eine „Systemsprengerin” ist, uns wie eine Greta-Verwandte erscheint. Eine, mit der sich Gott wohl einen Scherz erlaubt hat.

Mit Gott ist das überhaupt so eine Sache. Auch in dem wunderbaren Roman „Die Wunder von Little No Horse” von Louise Erdrich (Aufbau, 510 Seiten, 24 EUR). Die Autorin mit deutsch-amerikanischen und indianischen Wurzeln erzählt eine Jahrhundert-Saga aus den Gefilden, denen sie entstammt. Indianische Traditionen prallen mit der vermeintlichen Zivilisation zusammen – in einer Geschichte mit viel Spannung, mit Effekten eines Thrillers, eines leidenschaftlichen Liebesromans und von Heiligenlegenden. Das Leben eines Priesters wird vom Ende her erzählt, der, von Geburt eine Frau, seine christlichen Ideale nur als Mann (mit allen möglichen Verwicklungen) leben kann. Man kann Anklänge an Donna W. Cross‘ „Die Päpstin” nicht überhören. Oder wie Erdrich eine Figur sagen lässt: „Gott hat eben einen rabenschwarzen Humor”.

Vielleicht nicht von Gott gegeben, aber dennoch rabenschwarz sind die Einfälle, denen wir in dem Roman „Die Kakerlake” von Ian McEvan (Diogenes, 134 Seiten, 19 EUR) begegnen. Ungeheures geschieht in der englischen Hauptstadt. Eine Kakerlake wacht frühmorgens in Menschengestalt auf; mehr noch: Ihr Körper erweist sich als der des britischen Premierministers. Anderen Kakerlaken widerfährt Ähnliches, nur in anderer politischer Funktion. Bald ist das Parlament fast vollendet kakerlakisiert. Die Kakerlaken scheren sich trotz einer starken Opposition nicht um Gesetze und Traditionen und drücken eine politische Richtung durch, die dem Wahnsinn gleicht. Man denkt sofort an den Brexit. Aber McEvan will keine Doku, sondern eine glänzende Fiktion. Die besteht in dem Plan, den Geldfluss umzukehren: genial in Zeiten von Nullzinspolitik und Strafzinsen. Diese Fiktion lässt der Fantasie freien Raum und erweitert sogleich die Wirkung der Anklage des Autors, der sich mit Erfolg auf den Spuren von Kafka bewegt.

Boris Pasternaks Roman „Dr. Shiwago” gehört zu den berühmtesten russischen Romanen des 20. Jahrhunderts. Wie dieser entstand, in die Mühlen des Kalten Krieges geriet und zur Waffe im Kampf der Geheimdienste wurde, ist in dem wunderbaren Debütroman „Alles, was wir sind” (Rütten & Loening, 475 Seiten, 20 EUR) von Lara Prescott nachzulesen. Es ist schon beklemmend, wie Menschen, die Kunst und Literatur ganz, ganz fern stehen, so ein Buch instrumentalisieren, es mit erpresserischen Methoden, schon bevor es fertig geschrieben und gedruckt ist, an sich bringen wollen, um es zu verhindern oder zur politischen Zersetzung zu nutzen. Die Autorin hat, was im Spionage- und Repressionsdunkel geschieht, ebenso nachdrücklich erzählt, wie Pasternaks große Liebe zu Olga, die im Roman als Laura zu seiner leidenschaftlichen Muse wird.

Klaus Wilke

 

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