Mein Bücherbord: Die Seeanemone zwischen ihren Schenkeln

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Ullstein, 336 Seiten, 18 EUR

Ullstein, 336 Seiten, 18 EUR

Das Buch schlug, als es 1988 erstmalig erschien, wie eine Bombe ein: „Salz auf unserer Haut”. In einer schönen, ansprechenden Geschenkausgabe (Ullstein, 336 Seiten, 18 EUR) ist es jetzt wieder aufgelegt worden. Es wurde damals von den verschiedensten Leuten als Frauenporno und lüsterner Kitsch verunglimpft. Was war geschehen? Eine Frau, die Französin Benoite Groult (1920 – 2016), hatte von der hemmungslosen, leidenschaftlichen, hingabevollen Liebe einer verheirateten (!) Pariser Intellektuellen zu einem bretonischen Fischer erzählt. Sie ging schreibend wie liebend zur Sache, kein Mäntelchen einer üblichen und falschen Moral wurde vor die Anatomie der Liebe und die damit verbundenen Vorgänge gehalten. Sehnsucht und Erfüllung, trauriger Abschied und freudiges Wiedersehen wechseln einander ab. Nie wäre diese Liebe in einer Ehe möglich gewesen. Der Leser erfährt alles, ohne sich als Voyeur zu füllen. Im Gegenteil: Eine Frau befreit sich von den Zwangsfesseln einer falschen, maskulin dominierten Zivilisation. Tochter Antonia Baum porträtiert in einem lesenswerten Nachwort ihre Mutter.

Ullstein, 400 Seiten, 22 EUR

Benoite Groult, die die herkömmliche männliche Sprache hart attackiert, wenn sie sich den Frauen, der Liebe, der Sexualität zuwendet, findet selbst treffliche sprachliche Wendungen. In dem von Blandine von Caunes, einer weiteren Tochter, herausgegebenen Tagebuch „Vom Fischen und der Liebe” (Ullstein, 400 Seiten, 22 EUR) kann man sich davon überzeugen. Es sind Aufzeichnungen von 26 Sommern in Irland, aus denen man entnehmen kann, dass ihr „Salz”-Buch einen nahen autobiografischen Hintergrund, ihre funktionierende Dreier-Ehe, hat. Hier schreibt sie hymnisch von ihrem Geliebten, dass er, hingebungsvoll und fürsorglich wie „ihre Frau” sei, aber: „Nachts bringt er das Wunder fertig, ein Mann zu sein.” Über Zweisamkeit im Alter: „Es ist vermutlich leichter, sich weich zu öffnen, als hart zu werden.” Auch „die Seeanemone zwischen ihren Schenkeln” hebt sich poetisch von männlicher Prosa ab.

Aufbau, 186 Seiten, 20 EUR

Aufbau, 186 Seiten, 20 EUR

Bettgeschichten ganz anderer Art liest man in dem Roman „Jetzt noch nicht, aber irgendwann schon” (Aufbau, 186 Seiten, 20 EUR) von Martin Simons. Der Autor erzählt von seiner Krankheit. Er hat eine Gehirnblutung erlitten. Zeitweise hängt sein Leben am seidenen Faden. Die Blutung liegt ungünstig. Es gibt da einen toten Winkel, den die Ärzte nicht ergründen können. Schöne Idee, von diesem toten Winkel aus eine Rückschau auf das bisherige Leben zu halten und über den Grenzbereich zwischen Leben und Tod nachzusinnen, den man irgendwann (siehe Titel) überschreiten muss.

Die Titelgestalt des neuen Romans von Rafik Schami „Die geheime Mission des

Hanser, 434 Seiten, 26 Euro

Kardinals” (Hanser, 434 Seiten, 26 EUR) hat ihn bereits überschritten; er ist, vom Vatikan dorthin gereist, in Syrien auf scheußliche, bestialische Weise umgebracht worden. Ein syrischer und ein italienischer Kriminalist versuchen, das Geflecht von Geheimdiensten, religiösen Gruppen, krimineller und terroristischer Vereinigungen aufzufädeln, in das sich der Kardinal offensichtlich verfangen hat. Den Kriminalfall verbindet der in Syrien geborene deutsche Autor mit vielen Informationen und Hintergründen von politischen Leben im Vorkriegs-Syrien, etwa 2010.

Klaus Wilke

 

 

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