Gusel Jachina stellt in Cottbus ihren zweiten Roman vor
Am 1. Februar 2018 war Gusel Jachina zum ersten Mal Gast in der Stadt- und Regionalbibliothek Cottbus. Im Mittelpunkt dieses Abends stand der Debütroman der russisch-tatarischen Schriftstellerin „Suleika öffnet die Augen”, eine wunderbare Melange von Aufarbeitung unerfreulicher, oft grausamer Historie und poetischer russischer Märchenwelt.
Damals sagte die sympathische Autorin, die ein sehr klares, akzentfreies Deutsch spricht, im Hermann-Interview, dass sie soeben ihren zweiten Roman beendet habe. „Der ist dem Schicksal der deutschen Kolonie an der Wolga gewidmet. Die Wolgadeutschen waren ja ein wichtiges Kapitel in der russischen-Geschichte.”
1762/63 hatte Zarin Katharina II., die Große, deutsche Siedler ins Land gerufen, damit sie das Land kultivieren und gegen die Tataren schützen. Lenin bewunderte den Fleiß und den Erfolg der Nachkommen einstiger Einwanderer. Als Stalin seine grausame Alleinherrschaft antrat, schlugen den Wolgadeutschen Hass und Argwohn entgegen. Nachdem Hitlerdeutschland 1941 die Sowjetunion überfallen hatte, wurden sie gar der Kollaboration beschuldigt und nach Sibirien und in andere unwirtliche Gebiete verbannt.
Nun ist er da, der Roman „Wolgakinder”, und seine Autorin Gusel Jachina kommt am 21. Oktober zum zweiten Mal in die Cottbuser Stadt- und Regionalbibliothek. Ihr Buch ist kein historischer Roman im eigentlichen Sinne, obwohl sich darin Historie sichtbar spiegelt. Es erzählt die Geschichte des Dorfschulmeisters Bach, der in dem abgelegenen Gnadenthal bis zu 70 Kindern Lesen und Schreiben beibringt. Von anderen Menschen lebt er isoliert. Sein Leben ändert sich, als ihm der Großbauer Grimm nachdrücklich anträgt, seine 17-jährige Tochter Klara in der deutschen Sprache zu unterweisen. Eine Bedingung wie im Märchen: Er darf sie nicht sehen; sie muss sich hinter einem Wandschirm verbergen. Trotzdem entsteht aus der Begegnung eine heimliche Liebe. Als nach der Revolution marodierende Banden das Dorf überfallen und zerstören, wird von ihnen auch Klara vergewaltigt und wird schwanger. Sie stirbt bei der Geburt ihrer Tochter Anna. Tief traurig und im Innersten zerstört, verliert Bach die Sprache. Stumm, aber liebevoll erzieht er Klaras Tochter. Die Dorfobrigkeit hat ihn immer im Auge, besonders der bucklige Parteisekretär. Aber Bach wird gebraucht. Als Märchenerzähler. Freilich werden seine Märchen zurechtgebogen, so dass es heißt: „Zwerg treten in die Pionierorganisation ein” oder: „Ein Kommunist erschlägt den letzten Teufel auf sowjetischem Boden”. Auch Märchen haben sich dem Diktat der Partei zu beugen.
Wieder hat Jachina eine Geschichte erzählt, die voller Grausamkeiten und Menschenliebe ist. Die Welt mag so böse sein, wie sie will, immer findet der Mensch seine Nische des Gutseins. Es ist die Güte des Märchens wie schon in Jachinas erstem Buch. Das macht es wieder zu einem fabelhaften Leseerlebnis.
Davon kann man sich in der Stadt- und Regionalbibliothek bald überzeugen, wenn dann Schauspielerin Jennipher Antoni, Tochter der Schauspielerin Carmen-Maja Antoni, aus dem Roman vorliest. Es moderiert Katarzyna Zorn, Leiterin des mitveranstaltenden Brandenburgischen Literaturbüros.
Klaus Wilke