Sie lesen mit den Ohren

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An jedem letzten Mittwoch des Monats lädt die Lesebühne Cottbus in den „Zum Faulen August” ein 

„Zum Faulen August” könnte der wunderschöne, leseanreizende Titel einer Humoreske von Karel Capek, Ephraim Kishon oder Renate Holland-Moritz sein. Ist es aber nicht. Doch ein großer, ja besonderer Leseanreiz geht vom „Faulen August” schon aus.  Diesen Namen trägt nämlich eine Location in der Karl-Liebknecht-Straße 29, Kneipe und Club in einem, wo  an jedem letzten Mittwoch des Monats Literatur gepflegt wird. Wer in dieser Zeit zum „Faulen August” geht, will mit den Ohren lesen – die Cottbuser Lesebühne sendet ihre Texte, ofenfrisch wie knusprige Brötchen, aus.

Das tut sie seit 2009. Da hieß der gleiche Laden noch „La Casa”. 2017 hat sich ein Besitzerwechsel vollzogen. Aber David, der neue Betreiber, ist den Jüngern des Wortes und ihrem  Publikum genauso gewogen wie Nico, sein Vorgänger. Die Sache hatte ja auch von Anfang an Hand und Fuß. Immerhin hatte sie in Andreas Vent-Schmidt, einem ausgesprochen umtriebigen Kulturmenschen, einen kompetenten Gründer.

Auch von Anfang an – und noch heute – dabei  ist Matthias Heine. Zusammen mit Udo Tiffert und Matthies Rau bildet er heute das ständige Trio, das sich nach Möglichkeit durch lesebühnengewiefte Gäste verstärkt. Lesebühnentexte haben, weil sie ja zu Gehör gebracht werden, einige Besonderheiten an sich, die sie zugleich beliebt machen. Sie sind kurz, schmissig und bissig, wortgewandt und voller Überraschungen. Ein guter Mix, der der vielseitigen Getränkekarte des „Faulen August” ebenbürtig ist. Der Eintritt ist zwar frei, aber der Wohlklang der Geschichten und der Wohlgeschmack der Getränke sowie die urige, groß-familiäre (über 100 Besucher),   wohltuende Atmosphäre bringen Bestseller-Bewusstsein. Immerhin: Was die Ohren lesen, hat zuvor noch keiner gelesen.

Das ist euer Moment!

Das ist euer Moment!

Wer sind die drei Schreiber und Vorleser? Udo Tiffert (54) liest  außer in Cottbus regelmäßig in der Lesebühne GRubenhund Görlitz und ist zuweilen Gast in Berlin, Dresden, Halle/Saale oder Hannover. „Oft drängt sich die Vorfreude aufs Lesebühnenlesen in das Schreiben”, erklärt er. „Ich achte auf Textlänge und knappe Formulierungen oder auf ausschweifende Formulierungen, wenn ich freundliche Ironie mitteilen will.” Er schaut den Mitmenschen aus der Region  nicht nur auf den Mund, sondern in die Köpfe. Deshalb nennt ihn Matthias Heine sympathie- und achtungsvoll den „Archivar der Lausitzer”. Matthias Heine, vielbeschäftigter Theatermann im Piccolo, hat einen Helden namens Ralfo erdacht, der wie er selbst in Sachsendorf aufgewachsen ist. Der ist Mobbingopfer und mobbt selbst, was Konflikte mit seiner Umgebung aufreißt, in denen sich die Probleme einer Satellitenstadt widerspiegeln. Geschichten voller Komik, Tragik und Tragikomik mit einer schönen, im Alltag fußenden Dramaturgie. Mathies Rau, Piccolo-Dramaturg,  ist mit 27 der Jüngste im Trio und gilt als „Witzkanone”. Dabei ist Humor für ihn kein Selbstzweck. „Ich bin dankbar für dieses Publikum, das aufgeschlossen ist auch für experimentelle und ernste Texte und sogar Lyrik.” Und der Humor? Er ist ein Mehrfachkönner. „Damit kann man Texten die Schärfe nehmen oder diese auch hineintragen. Wenn Humor und Ernst eine Bruchstelle bilden, schafft das ungeahnte Aussagen und Effekte.” Zuweilen ergänzt auch der aus Cottbus gebürtige Schauspieler und junge Dramatiker Daniel Ratthei (38) das Trio.

Dann die Gäste – drei von vielen aus neun Jahren: Ahne, Sarah Bosetti, Uli Hannemann und, und, und.

Sie alle bereiten Teamwork, wenn auch jeder auf seine (Schreib- und Lese-)Weise. Wenn dann Matthias Heine pünktlich 20.30 Uhr ausruft: „Das ist euer Moment.”, dann entlädt sich ein Höllenlärm, der atemloser Stille weicht, wenn der erste Text auf dem Tisch liegt.

Am 25. April findet die 100. Lesebühne statt! Wer den hermann zeitig genug hat: Die nächste startet am 28. März.

Klaus Wilke
Titelfoto: Udo Tiffert, Matthias Heine, Matthies Rau und Daniel Ratthei (v. l.). Fotos: TSPV

 

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