Senta kann auch Desdemona

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Tanja Christine Kuhn gibt ihr Rollendebüt in Jasmina Hadžiahmetovics Otello-Inszenierung

 Ein begeistertes Theaterpublikum feierte Mitte des Monats im Staatstheater Cottbus sein Opernensemble, das unter Regie von Jasmina Hadžiahmetovic und der musikalischen Leitung von Generalmusikdirektor Alexander  Merzyn die Premiere von Giuseppe Verdis Oper „Otello” auf die Bühne gebracht hatte. In der Titelrolle war Ensemblemitglied Jens Klaus Wilde zu sehen und zu hören, der sich in dieser Inszenierung mit dem spanischen Tenor Xavier Moreno   abwechselt. In der Partie der Desdemona agiert Tanja Christine Kuhn.

Senta ist also wieder da. Viele Opernbesucher erinnerten sich an die jugendliche Unbescholtenheit und das lebensbejahende Selbstbewusstsein in Kuhns Gestaltung dieser weiblichen Hauptrolle im „Fliegenden Holländer”.. Andere sicher an die schwerreiche „Lustige Witwe” Hanna Glawari. Zwei Partien, mit denen die großartige, viel beschäftigte jugendlich-dramatische Sopranistin Tanja Christine Kuhn in Cottbus glänzte. Sie hat, wenn sie auch, da ständig auf Achse, längst nicht oft genug hier zu sehen ist, das Zeug zum hiesigen Publikumsliebling.

Wir trafen uns zwei Wochen vor der Otello-Premiere. Da kam sie motiviert übersprudelnd aus einer Probe:  „Das war Klasse, das war Spitze. Dieses Orchester. Wunderbar. Und die Akustik in diesem Haus. . .” und in diesem Stil weiter. Dazu muss man wissen, dass Tanja Kuhn von der Kritik bejubelte Spuren nicht nur in ihrer Geburtsstadt Heidelberg, sondern u.a. in Münster, Hannover, Gießen, Braunschweig, in den italienischen Theatern von Bari und Cagliari, an der Dänischen Nationaloper und im Nationaltheater Zagreb hinterlassen hat.

Nun also wieder Cottbus. Was sie darüber zu sagen hat und darüber, nach der Pandemie endlich wieder auf der Bühne stehen zu können, hätte ich mir von der perlklaren Sopranstimme gesungen gewünscht. Aber auch wenn sie spricht, geschieht das mit beeindruckender Klarheit und Deutlichkeit. Das hängt sicher mit einer ihrer Eigenschaften zusammen: „Ich bin eine absolute Textfanatikerin. Ich will, dass Zuschauer und Zuhörer alles, was ich auf der Bühne singe oder sage, verstehen.”

„Ich will Publikum”, hatte sie, in facebook festgehalten, in einem anderen Theater am Ende der Pandemie lautstark zu wissen gegeben. Sie und ihr Publikum. Nicht nur Textfanatikerin ist sie, auch Spielfanatikerin. „Die Oper braucht spielende Sänger, und die wiederum brauchen aufmerksame Zuschauer.” In vier Holländer-Inszenierungen (Zagreb, Bari, Hof, Cottus)  war sie Senta. „Jede war anders. Unterschiedliche Handschriften, aber auch verschiedene Weltbilder. Am interessantesten war die in Cottbus. Regisseurin Jasmina Hadžiahmetovic ließ mich eine selbstbewusste junge Frau spielen, die ihre eigene Lebensentscheidung fällt und nachdem ihr der Holländer ihr Angebot der „Treue bis in den Tod” ablehnt, ihren eigenen Weg weitergeht. „Eine toxische Beziehung, aus der sie sich befreit.” Das Bild einer modernen Frau.

Anders die Männerwelt. „Die lustige Witwe” (Regie: FelixSeiler). „Eine ganze geile  Männerwelt umschwärmt Hanna Glawari. Eine attraktive Frau mit roter Perücke und schönem Kleid. Eine herrlich Partie. Aber im Fokus stehen nicht Glawaris Reize und Persönlichkeit, sondern ihr Geld.”

Und nun die Desdemona in Jasmina Hadžiahmetovics Otello-Inszenierung. „Menschen werden aus verschiedensten Gründen ausgegrenzt. Hautfarbe ist einer davon – aber einer von vielen. Bei uns haben beide Darsteller des Otello weiße Haut – folglich spielt diie Hautfarbe in dieser Inszenierung keine Rolle. Entscheidend ist, zu zeigen, wie gesellschaftliche  Stigmatisierung und Kriegstraumata einen Menschen prägen. Was der Grund für diese Stigmatisierung ist, bleibt letztendlich nebensächlich”, erklärt  die Sopranistin. Otello ist total kaputt, verzweifelt, desillusioniert. Aber wie viel tun Frauen für total kaputte Typen? Desdemonas Mitgefühl beantwortet Otello mit Misstrauen und Eifersucht. Sie ahnt nichts von der Intrige, die dahintersteckt, und hat dann keine Chance mehr, als es um ihr Leben geht. Der Krieg und eine ungerechte Gesellschaft haben Otello verdorben. Diese Gesellschaft lässt Frauen wirklich keine  Chance.”

Eine Traumrolle für Tanja Christine Kuhn. Senta ist wieder da. Jetzt als Desdemona. Ab April dann auch wieder als Senta. Ein bisschen müssen wir einer Musiklehrerin danken. Tanja hat schon als Kind in kleinen Rollen auf der Bühne gestanden. Ihre Theaterbegeisterung flaute samt Studienplänen ab, als sie als Jugendliche eine Tosca mit Glatze erlebte. Die Lehrerin zu Tanja: „Aber wer soll denn dann noch Gesang studieren, wenn nicht du mit deiner Stimme?” Sie tat es. Zum Glück.

Klaus Wilke

 

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