Nur wir wissen, was unsere Bürger beschäftigt

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Im großen HERMANN-Interview: Thomas Leberecht, Bürgermeister der Einheitsgemeinde Lohsa

Seit 13 Juli 2016 ist Thomas Leberecht hauptamtlicher Bürgermeister der Einheitsgemeinde Lohsa. Wir sprachen mit ihm über die Lausitzrunde, das Strukturstärkungsgesetz, die Vorhaben seiner Kommune, Wünsche und Visionen, dass Erreichte und die Vorhaben.

Würden Sie sich kurz vorstellen? Seit wann sind Sie in Lohsa? Seit wann Bürgermeister?

Ich bin hier geboren und kann mich auch als Kind der Braunkohle bezeichnen. Wir leben in der vierten Generation in Lohsa. Meine Familie ist durch den Aufschluss des damaligen Tagebaus Werninghoff 1, dem heutigen Knappensee, hierhergekommen. Mütterlicherseits stammen wir aus Schlesien, väterlicherseits kommen wir aus Rothenburg an der Neiße. Mein Urgroßvater war Gleisbauer, mein Großvater hat in der Brikettfabrik in Knappenrode gearbeitet, mein Vater im Tagebau. Er war Schichtleiter. Nach der Wende war er für die Rekultivierung der damaligen Bergbaufolge zuständig. Ich bin in Lohsa zur Schule gegangen. War danach viele Jahre bei der Bereitschaftspolizei und der Polizeidirektion Görlitz, auch gegen grenzüberschreitende Kriminalität in Polen eingesetzt. Schließlich kam ich über den Streifendienst wieder nach Hoyerswerda und stellte mich zur Wahl als Bürgermeister. Nebenbei absolvierte ich noch ein Studium als Verwaltungsfachwirt. Nun sitze ich hier in diesem wunderschönen Rathaus in Lohsa und bin der Chef der Verwaltung der zweitgrößten Flächengemeinde in Sachsen. Um genau zu sein ist sie 134 Quadratkilometer groß. Wir haben nicht weniger als vier große Seen zu bespielen – alles Bergbaufolgelandschaft: den Knappensee, den Silbersee, verbunden mit dem Mortkasee, den Dreiweiberner See sowie einen Teil vom Scheibesee.

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, sich der Bürgermeisterwahl zu stellen?

Das politische Interesse war natürlich nicht gleich vorhanden. Ich bin Vorstandsvorsitzender eines Fußballvereins. Zum damaligen Zeitpunkt sollten die Vereine die komplette Bewirtschaftung übernehmen. Das hatte mit Folgekosten für uns alle zu tun. Ich sagte mir, dem kann ich nur begegnen, in dem ich einmal zum Gemeinderat gehe und dort interveniere. Mein Auftritt dort war wohl nicht der schlechteste, denn danach fragte man mich: Willst Du dich nicht zur Wahl des Gemeinderates aufstellen lassen? Mein Interesse war geweckt. 2009 geschah dies gleich auf Anhieb. So wurde ich Gemeinderat, später stellvertretender Bürgermeister und bin schließlich für sieben Jahre zum Bürgermeister gewählt worden.

Wenn Sie die Einheitsgemeinde Lohsa jemandem vorstellen müssten, wie würden Sie das machen?

Sie ist eines der schönsten Stückchen Erde. Wir haben hier ein wirkliches Pfund, wir können mit der Bergbaufolge punkten. Im touristischen, teilweise auch im wirtschaftlichen Sinne.  Wir haben als großes Plus eine Verkehrsanbindung über die Schiene – die Niederschlesische Magistrale, es gibt einen ganz tollen Haltepunkt am Silbersee auf der Strecke Hoyerswerda Görlitz. Wir sind stolz auf unser sehr gut ausgebautes Radwegenetz, durch das man fast jede Ortschaft erreichen kann. Wir können auf einige Dinge verweisen, die für uns ein Alleinstellungsmerkmal darstellen, wie die sehenswerte Glaspyramide am Dreiweiberner See oder die große Burganlage in Mortka.

Worin steckt Ihrer Meinung nach das Potential dieser Gegend?

Wir haben viele Menschen, die sehr gut ausgebildet sind und unter anderem derzeit noch in den Kraftwerken Schwarze Pumpe und Boxberg arbeiten. Das ist eines unser Potentiale – wir müssen es schaffen, hier eine noch bessere Infrastruktur vorzuhalten, damit die Leute auch bei uns bleiben. Ist das gelungen und finden diese Fachkräfte dann zum Beispiel am Industriestandort Schwarze Pumpe weiterhin Beschäftigung, durch neue Wertschöpfungsketten, wäre das für uns ein großes Plus. Darin sehe ich die Chance für unsere Gemeinde Lohsa. Was nicht noch einmal passieren darf, ist ein Strukturbruch, wie nach der politischen Wende, der einen Abgang der Bevölkerung in erheblichem Ausmaß, wie in Hoyerswerda sehr stark sichtbar, zur Folge hatte. Das Entscheidende für unsere Einwohner ist: Was treibt mich an, hier zu bleiben? Für mich fängt das damit an, dass gut ausgestattete und sanierte Kinderkrippen und -gärten vorhanden sind. Dass es gute Lernmöglichkeiten an den Grundschulen gibt – da sind wir übrigens gerade im letzten Sanierungsstadium bei unserer Schule in Groß Särchen. Daneben gibt es schon eine sanierte Grundschule in unserer Nachbargemeinde Spreetal in Burgneudorf und die Oberschule in Lohsa, die von beiden Grundschulen partizipiert. Dazu zählt aber auch eine gut ausgebaute Verkehrsinfrastruktur. Neben der Bahn haben wir eine sehr gute Anbindung durch die Bundesstraße nach Cottbus erhalten. Wir brauchen aber auch noch eine bessere Verbindung Richtung Westen und nach Dresden. Nur so, das ist meine Meinung, kann man die Leute auch motivieren hier zu bleiben. Ein weiteres Pfund ist: Wir leben hier auf dem Land! Den Unterschied muss man wirklich benennen. Wir können auch damit punkten, dass wir mehrere Ärzte und auch Einkaufsmöglichkeiten in unserer Gemeinde haben.

Die Eckpunkte für den Kohleausstieg stehen und das Strukturstärkungsgesetz ist beschlossen.  Worin sehen Sie die Risiken und Chancen für Lohsa?

Fangen wir mit den Risiken an: Die Verfahren und die Verfahrenswege dauern zu lange. Sei es die Planung oder die Finanzierung. Viele Dinge sind gut gedacht, aber die Umsetzung lässt dann meist zu wünschen übrig. Wird es uns gelingen, die Eigenmittel dafür in den nächsten Jahren aufzubringen? Auch wenn es nur die bekannten zehn Prozent sind. Können wir dafür Personal vorhalten, gibt es in den Kommunen Personal, das wir für diese Vorgänge abstellen können, damit Projekte bearbeitet oder umgesetzt werden können? Konsumtive Unterstützung ist bekanntlich beim Strukturstärkungsgesetz definitiv ausgenommen. Das ist ein schwieriges Thema, selbst wenn die Finanzierung steht, kann es an der Umsetzung scheitern. Wir haben in den Kommunen so schon sehr viele Pflichtaufgaben, die zu lösen sind. Zusätzliche Aufgaben ohne zusätzliches Personal, schwer vorstellbar.

Als Chance sehen wir die neuen Wertschöpfungsketten, die zum Beispiel gerade auch im Energiesektor entstehen. Hier liegen ja unsere Kompetenzen. Zwar nicht direkt im Lohsaer Gemeindegebiet, aber ringsum. Wir haben bei uns Seen, die nie touristisch und auch nicht infrastrukturell erschlossen werden, zum Beispiel das große Speicherbecken Lohsa II. Diese Wasserflächen könnten zur Erzeugung von regenerativer Energie genutzt werden. Wenn Sachsen Energieland bleiben möchte, was ich hoffe, muss auch die Entwicklung von Speichermöglichkeiten vorangetrieben werden. Ich denke da an Photovoltaik und Wasserstoff, das ist für mich die Zukunft.

Wo sehen Sie ihre Gemeinde im Zusammenspiel der regionalen Akteure wie der Wirtschaftsregion Lausitz, der Lausitzrunde, der Wirtschaftsinitiative Lausitz?

Die Wirtschaftsregion Lausitz besteht aus sechs Landkreisen, zwei Mal Sachsen, vier Mal Brandenburg mit der Stadt Cottbus. Der damalige Gedanke war genau der Richtige: Kräfte für die Region des Lausitzer Reviers bündeln, um dann den Pfad, der derzeit beschritten wird, von kommunaler Ebene aus mitzugehen. Dabei musste klargestellt werden, wo wir überhaupt hin wollen. Die Zukunftswerkstatt Lausitz leistet dabei tolle Arbeit. Sie befragen die Bevölkerung, kommunale Vertreter können sich ebenfalls mit einbringen, die die Herausforderungen vor Ort kennen und beschreiben. Das halte ich für sehr wichtig. Zum Beispiel findet momentan die Schreibwerkstatt statt, wo sich Akteure aus beiden Bundesländern wiederfinden, die dann gemeinsam das Leitbild 2050 mit aufstellen. Das sind genau die Ansätze, die wir brauchen. Die WRL hat sich dabei mit vorn angestellt. Dass man sich in Sachsen nun einen anderen Weg vorgestellt hat, als in Brandenburg, das wird es immer wieder mal geben. Gleichwohl finde ich, dass der Gedanke der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit weitergeführt werden muss. Ich denke, mit der Sächsischen Agentur für Strukturentwicklung und der WRL in Brandenburg sollte ein noch engerer Kontakt entstehen.

Worin sehen Sie die besondere Verantwortung der Lausitzrunde, in der Sie ja Mitglied sind?

Die Verantwortung hat sich nicht von allein ergeben, sondern kam auf Initiative der betroffenen Kommunalvertreter. Frau Herntier (Bürgermeisterin Spremberg, d. A.) und Herrn Pötzsch (OB Weißwasser) haben sich mit als erste einen Kopf gemacht, was passiert, wenn Steuergelder wegbrechen oder Rückforderungen kommen – was ja dann auch zum damaligen Zeitpunkt geschehen ist – bis hin zum Gedanken, wie damit umzugehen ist, wenn wirklich aus der Braunkohle ausgestiegen werden soll und wie dann adäquat Ersatz geschaffen werden kann. Dass wir uns damals so umfänglich gefunden haben, war ein Kraftakt und unter anderem ein Verdienst der beiden. Das führte auch dazu, dass wir uns schließlich als Lausitzrunde in der Kommission für Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung einbringen konnten. So finden sich im Abschlussbericht der Kommission auch Maßnahmen aus unseren kommunalen Gebietskörperschaften. Durch die Lausitzrunde wurde letztlich, zwar nicht vollumfänglich, in dem Bericht festgeschrieben, was wir wollen. Es ist nun also ein durch Bund und Länder begleiteter Strukturwandel, oder wie es jetzt bei uns heißt: Strukturstärkung, aber immer in Absprache mit den Kommunen. Ich sehe die Lausitzrunde als Bindeglied zwischen den Bürgern in den Kommunen und den staatlichen Organen, die es dann letztlich finanzieren sollen. Die Lausitzrunde wird also auch weiterhin viel Kraft aufbringen, damit wir weiterhin mitsprechen können für die kommunale Ebene, also für unsere Kommunen und damit für unsere Bürger.

Welche Chancen hat Ihrer Meinung nach die Einheitsgemeinde Lohsa, langfristig betrachtet, als Arbeits- und als Lebensmittelpunkt für die Menschen?

Die Chance besteht darin, den hier Lebenden unsere Gemeinde als lebenswert zu erhalten und natürlich mit den Mitteln aus dem Strukturstärkungsgesetz für die Braunkohleregion sowie der Förderrichtlinie des Freistaates Sachsen dem Bürger die Möglichkeit zu geben, sich mit dem ländlichen Raum zu identifizieren und damit auch hierzubleiben. Eine Chance sehe ich auch bei der Mitgestaltung. Mitgestaltung bei einem Prozess, der uns nicht erst bevorsteht, sondern, in dem wir uns schon befinden. Dass wir im Kontext der Bergbaufolge eine touristische Attraktivität am Knappensee erreichen, die ja aufgrund des derzeitigen Sanierungsgeschehens unterbrochen ist, dass wir den Silbersee weiter beleben und letztlich das Lausitzer Seenland als Lebensmittelpunkt anbieten können – und das nicht nur als touristisches Highlight.

Welche Erwartungen und Forderungen haben Sie an das Land und den Bund im Umsetzungsprozess bis 2038?

Bis 2038 muss es einen adäquaten Ersatz für die Braunkohleverstromung geben, erst dann den Ausstieg. In diesem Zusammenhang finde ich es schade, dass kein Staatsvertrag zustande gekommen ist. Wir haben zwar jetzt durch das Strukturstärkungsgesetz die Möglichkeit, zur Verfügung gestellte Mittel in Anspruch zu nehmen, aber es ist ein Blick in die Glaskugel, wenn wir wissen wollen, was in zehn Jahren sein wird. Angenommen es verändert sich politisch ganz, ganz viel, man schlägt einen ganz anderen Weg ein, bleiben uns dann die bereitgestellten Mittel erhalten oder werden diese einfach gestrichen? Letzteres darf auf keinen Fall passieren. Ich erwarte zum Weiteren, dass die kommunale Beteiligung, bei dem, was hier umgesetzt werden soll, weiter Bestand hat. Wir brauchen das Mitspracherecht in den Gremien, wie SAS und WRL. Wir brauchen die Lausitzrunde. Wir brauchen definitiv eine Steuerungsfunktion von Seiten der Kommunen, weil nur wir wissen, was unsere Bürger beschäftigt. Wir brauchen auch eine vernünftige Begleitung des Freistaates in der Unterstützung der Strukturstärkung. Hier setze ich auf das Staatsministerium für Regionalentwicklung sowie die SAS für die Begleitung als auch die Akquirierung von Fördermitteln aus anderen Töpfen. Das muss auch deshalb bleiben, weil wir das rein personell nicht leisten können.

Haben Sie eine Vision bis 2038 für Lohsa?

Wir haben 2015 ein Leitbild erstellt, sind dabei in die einzelnen Ortschaften gegangen und haben unsere Bürger abgefragt, was braucht ihr, wo sehen wir uns in den nächsten Jahren? Das wollen wir weiterverfolgen. Das wird sich auch relativ nicht ändern. Wichtig ist: Wir schaffen es, die Bevölkerungszahl zu halten. Wichtig ist, auch wenn ich mich wiederhole: eine vernünftige Infrastruktur vorzuhalten. Wichtig ist: die Bürger bei dem gesamten Prozess mit einzubeziehen. Ich würde mich freuen, wenn wir, nicht erst im Jahr 2038, unsere drei Seen wieder vollumfänglich nutzen können, Hoyerswerda den Scheibesee erschlossen und entwickelt hat und wir hier weiterhin gerne leben.

Was würden Sie sich für Lohsa, für die Region wünschen, wenn Sie es könnten?

Sachsen soll Energieland bleiben. Das ist der Anspruch an uns und unsere Region.

Vielen Dank für das Gespräch.
Interview: Heiko Portale

 

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