„Das Haus atmet, das Haus lebt”

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Was sich hinter den Mauern des Staatstheaters in Coronazeiten tut

 Das Staatstheater Cottbus hat bekanntlich drei Spielstätten: das Große Haus, die Kammerbühne und die Theaterscheune in Ströbitz.  In allen dreien herrscht coronabedingt seit Wochen Ruhe. Das Mobiliar ist staubabweisend verdeckt und träumt von besseren Zeiten, die es erlebt hat und neu herbeisehnt. Wer Theater liebt, vermisst es, wie er Grundnahrungsmittel, wenn er nicht über sie verfügen könnte, vermissen würde.

Auch Annalena Hänsel hofft, dass sich der Vorhang bald wieder hebt, sich die Säle füllen und neue wunderbare Theaterproduktionen die Begegnung mit der Öffentlichkeit suchen. „Man muss mit den Möglichkeiten leben und das Beste daraus machen”, sagt sie.  Seit gut einem Jahr ist Annalena in der Abteilung Kommunikation und Marketing des Theaters für die sozialen Medien zuständig. 1997 geboren, ist sie ja mit den Medien groß geworden. Dazu kam die Liebe zum Theater, von Eltern und Oma kräftig befördert. „In den Nussknacker habe ich mich als Kind regelrecht verliebt.”

In der Region aufgewachsen und zur Schule gegangen, hat sie auf der Bühne des Piccolo-Jugendklubs begeistert mitgespielt. Vom anschließenden Studium der Kulturwissenschaften an der Viadrina in Frankfurt (Oder) ist sie als Bachelor nach Cottbus zurückgekommen. Berufsbegleitend fügt sie dem nun den Master im Kulturmanagement hinzu.  „Masterhaft” ist sie gegenwärtig im Theater, von Sparte zu Sparte, unterwegs. Denn als Theater-Medien-Mensch richtet  sie sich, getreu ihrem Motto „Mit den Möglichkeiten leben” auf drei andere Bühnen, die keines Nasen-Mund-Schutzes, keines Sicherheitsabstandes und keiner winkenden Fernbegrüßung bedürfen. Diese Bühnen heißen Facebook, Instagram und Twitter.

„Es war wichtig”, erklärt Annalena, „Formate zu finden, die auch zu Hause funktionieren. Wenn schon die Pforten des Theaters geschlossen bleiben, soll sich doch wenigstens der virtuelle Vorhang heben. Die Technik erlaubt es, den realen Spielplan durch den Digitalen Spielplan zu ersetzen. Der hat seinen Platz bei Facebook gefunden. Angelehnt an den eigentlichen Spielplan, bieten wir stückbezogene Beiträge.”

Das kann sehr interessant und pfiffig sein. Man stelle sich vor: Dürrenmatts „Der Besuch der alten Dame” muss aus den bekannten Gründen ausfallen. Gunnar Golkowski, im Stück der Bürgermeister von Güllen, erklärt nun seinen Mitbürgern, dass Claire Zachanassian ihren Besuch wegen der Pandemie abgesagt habe und hinter der Milliardenspende für das krisengeschüttelte Dorf nun ein Fragezeichen stünde.

Die Social-media-Mitarbeiterin freut sich über solche Einfälle. Weil sie auf offene Ohren und Münder stößt, ist sie gern unter dem Künstlervolk unterwegs. „Auch in meinem Teilbereich zeigt sich: Theater ist immer Teamarbeit. Eine(r) allein vermag viel weniger als mehrere, viele oder alle gemeinsam.” Und welcher technicher Aufwand, wenn der BürgerSprechChor synchron aus 18 Wohnungen seinen Schlusschor aus „1984” zelebriert! Und diese philosophische Tiefe, wenn Boris Schwiebert seinen Monolog aus dem „Antifaust” einspricht. Und was für eine künstlerische Erhabenheit, wenn an Stelle der verschobenen „Otello”-Premiere eine Reminiszenz an den „Fliegenden Holländer” mit den großartigen Interpreten Tanja Kuhn und Andreas Jäpel auf dem Digitalen Spielplan steht!

OpernsängerInnen im Homeoffice

„Wir bieten auch noch eine zweite Reihe an”, ergänzt Annalena Hänsel. „Auf Instagram geben wir Einblicke in Alltagstheater. Dort ist zu sehen, wie unsere SängerInnen, SchauspielerInnen, TänzerInnen und Orchestermitglieder derzeit ihren Tag verbringen.” Da erklärt zum Beispiel Dirk Kleinke, was Homeoffice für einen Opernsänger bedeutet. Venira Welijan und Kai Börner präsentieren ein spartenübergreifendes tänzerisches Gymnastikprogramm. Rahel Brede, Nils Stäfe und Michelle Bernard präsentieren „Carmen” originell aus Cottbus, Dresden und Leipzig. Chuanru He und Elgun Aghazada behaupten im Kuppelfoyer des Großen Hauses geigend „Der Vogelfänger bin ich ja”.

„Nicht alles ist im Digitalen Spielplan oder Alltagstheater unterzubringen”, erzählt Annalena. „Ein Ballettfilm gibt allen Tänzerinnen und Tänzern eine Auftrittsmöglichkeit. Sie sind darin alle Solisten, die in einer Art Reigen vereint sind. Und immer ist die letzte Bewegung des/der einen die erste des/der Nächsten. Die Idee zu dem Spiel kam aus der Ballettcompagnie. Mit Ron Petraß, das zeigt auch dieser Film,  haben wir einen Mediengestalter und Kameramann, der erstklassige Arbeit leistet.”

Da stellt sich doch die Frage:   Was bleibt von Social media, wenn Corona vorüber ist? Da ist sich Annalena Hänsel sicher: „Eine neue zusätzliche Art, für das Theater und seine Themen zu werben, zu Menschen hinzugehen, die zu uns nicht kommen können, oder neue Interessenten in das Theater zu locken. Künstler haben die digitale Ausdrucksweise als eine zusätzliche Form der Kommunikation zu schätzen gelernt und werden sie weiter pflegen. Alles, wie gesagt, ist Teamarbeit. Das Haus ist groß. Wir sind vier Sparten und x Berufe, aber ein einziges Theater.”

Das ruft danach, sich weiter in diesem Theater umzusehen. Die MitarbeiterInnen der Werkstätten und der Bühnentechnik sind weiterhin in allen Spielstätten tätig und nutzten die Zwangspause bisher optimal.  So bestätigt der Technische Direktor Matthias Günther, dass Arbeiten angepackt wurden, für die seit Jahrzehnten keine Zeit war, z.T. auch, weil diese den künstlerischen Betrieb behindert hätten. Bereits erledigt sind das Abschleifen und Streichen der Bühnenbretter in Großem Haus und Kammerbühne, die Überholung von Podestmaterial, die Prüfung und Reparatur der Scheinwerfer, das Vorrichten von Brandwänden, Fluren, Gängen zu den Garderoben sowie zahlreiche Säuberungsarbeiten. In handwerklicher Eigenleistung wurde die Foyerbeleuchtung im Großen Haus auf LED umgestellt und hunderte Meter Kabel in Vorbereitung des Einbaus eines neuen Tonpultes verlegt. Zudem war nun auch Gelegenheit, um den Antrieb der Drehscheibe reparieren zu lassen.  

Mickey Mouse grüßt

Theaterplastikerin Claudia Düsing arbeitet am Mickey-Mouse-Kopf für „Der Wald”

Unter der Leitung von Produktions- und Werkstattleiter Martin Goldmann sind Tischlerei, Schlosserei, Dekoration, Malsaal und Theaterplastik mit den letzten Handgriffen für „Der Wald“ beschäftigt. Von Schauspieldramaturgin Wiebke Rüter zusammen mit Regisseur Gordon Kämmerer ursprünglich als Theaterinszenierung geplant, entsteht das Stück – auch inhaltlich den veränderten Gegebenheiten in der Coronakrise angepasst – nunmehr als reine Filmproduktion. Die Kamera führt Jan Isaak Voges. Das Team will damit auch ein Zeitdokument darüber schaffen, ob und wie man in dieser Situation Theater macht. Für das Bühnenbild bauten die KollegInnen der Gewerke z.B. einen 2,40 Meter hohen Mickey-Mouse-Kopf, einen fluoreszierenden Baum und ein Tor in Form eines Omega-Zeichens.

Als nächstes beginnen die Gewerke mit den Vorbereitungen für die kommende Theatersaison, so für die erste Schauspielpremiere, für die schon während der Spielzeitpause weiter geprobt wird. Aus Bern (Schweiz) sind die Kulissen einer Operninszenierung des designierten Intendanten Stephan Märki eingetroffen. Bereits im Malsaal aufgebaute Teile werden für die hiesigen Bühnenverhältnisse umgerüstet, eingekürzt oder ergänzt; für einige Bühnenverwandlungen neue Lösungen entwickelt. Und in der Schneiderei, die inzwischen mehr als 1.500 Gesichtsmasken angefertigt hat, stehen zum Auspacken bereits die Kisten mit den entsprechenden Kostümen bereit, die nun für die Cottbuser Solisten, die Damen und Herren des Opernchores sowie den Kinder-und Jugendchor angepasst werden.

Arbeit, wo immer du hinguckst. Annalena Hänsel empfindet: „Das Haus atmet, das Haus lebt.” Es wartet sehnsüchtig, dass es wieder Gäste empfangen kann (die auch durch Facebook und Instagram neugierig geworden sind).

Klaus Wilke

 

 

 

 

                      

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