Der Rabe und der Fuchs

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Besuch im Lessing-Museum in Kamenz

Im Museumsshop erstanden

Ein Rabe trug ein Stück vergiftetes Fleisch, das der erzürnte Gärtner für die Katzen seines Nachbars hingeworfen hatte, in seinen Klauen fort. Und eben wollte, er es auf einer alten Eiche verzehren, als sich ein Fuchs herbei schlich und ihm zurief: „Sei mir gesegnet, Vogel des Jupiters!“

„Für wen siehst du mich an?“, fragte der Rabe. „Für wen ich dich ansehe?“, erwiderte der Fuchs. „Bist du nicht der rüstige Adler, der täglich von der Rechten des Zeus auf diese Eiche herabkommt, mich Armen zu speisen? Warum verstellst du dich? Sehe ich denn nicht in der siegreichen Klaue die erflehte Gabe, die mir dein Gott durch dich zu schicken noch fortfährt?“

Der Rabe erstaunte und freute sich innig, für einen Adler gehalten zu werden. Ich muss, dachte er, den Fuchs aus diesem Irrtum nicht bringen. – Großmütig dumm ließ er ihm also seinen Raub herabfallen und flog stolz davon. Der Fuchs fing das Fleisch lachend auf und fraß es mit boshafter Freude. Doch bald verkehrte sich die Freude in ein schmerzhaftes Gefühl; das Gift fing an zu wirken, und er verreckte. Möchtet ihr euch nie etwas anders als Gift erloben, verdammte Schmeichler!

Plastik von Rabe und Fuchs-Fabel

Oha. Mit dieser Dichtung durchschüttelte Gotthold Ephraim Lessing mal eben die literarische Gattung Fabel. Seit der Antike sind Fuchs und Rabe ein bekanntes Thema. Der schlaue Reineke schmeichelt dem dummen Raben, das Krähentier fällt auf die List herein und hat am Ende den Schaden. So auch hier und wiederum nicht. Lessing gibt der alten Story einen neuen Spin. Das Objekt der Begierde – ein Stück Fleisch – ist vergiftet und bringt den Tod. Dieses entscheidende Detail verändert die Pointe. Es gibt keinen eindeutigen Gewinner, wie sonst üblich in der Fabel. Auch die moralische Deutung bereitet Kopfzerbrechen und lässt verschiedene Erkenntnisse zu. Perfektes Futter für Deutschklassen also.

Blick auf Kamenz

Wenn man sich Lessings Theaterstücke, wie „Nathan der Weise“ anschaut, finden wir ein ähnliches Prinzip. Die Welt ist nicht in schwarz und weiß unterteilt, sondern ein komplexer Organismus. Seine Rabe/Fuchs-Fabel wird zum vielschichtigen Abriss, auch wenn er im letzten Satz grob austeilt, was als Seitenhieb an Zeitgenossen verstanden sein dürfte.

Grund genug also nach Kamenz zu fahren, denn am 22. Januar 1729 erblickte Lessing im Oberlausitzer Städtchen das Licht der Welt. Das Elternhaus war durch strengen lutherischen Glauben geprägt. In der St. Marienkirche wird er vom Großvater getauft. Sein Vater, ein Pastor, unterrichtet den Knaben selbst. Homeschooling wäre der aktuelle Fachbegriff. Der Junge ist begabt. Mit fünf Jahren kann er aus der Bibel lesen, später entstehen erste

Kamenzer Marktplatz

Lieder, Gedichte und Stückentwürfe. Der starke Vater wird ein Lebensthema bleiben, denn der vorgezeichnete Weg des jugendlichen Gotthold Ephraim als Theologiestudent in Leipzig, wird von der Liebe zum Theater durchkreuzt. Der Sohnemann hängt mit Schauspieler*innen ab und das Thema Religion verliert seinen Zauber. Der Papa kommt, um die Schmuddelei zu beenden und den Missratenen nach Hause zu holen.

Das klappt nicht, wie wir wissen. Lessing schreibt seinem Vater: „Den Beweis warum ein Comoedienschreiber kein guter Christ sein könne, kann ich nicht ergründen. Ein Comoedienschreiber ist ein Mensch, der die Laster auf ihrer lächerlichen Seite schildert. Darf denn ein Christ über die Laster nicht lachen?“                

Sie wird gewiss kommen, die Zeit der Vollendung…

Es dauert einige Jahre bis sein alter Herr den Lebenswandel des Sohnemanns akzeptiert und mit Stolz erfüllt. Lessing wird sich zu einem der bedeutendsten deutschen Dichter entwickeln. Die Epoche der Aufklärung kommt ohne die Erwähnung seines Namens nicht aus. Sein Lebenswerk ist ein Spagat aus Poesie und Theorie. Er gräbt sich in ein Thema ein und schreibt Abhandlungen. Zum Beispiel über die Gattung Fabel. Oder über die Darstellung des Todes in der Antike. Oder seine berühmte Schrift „Über die Erziehung des Menschengeschlechts“. Es scheint, als wirke das Predigen von der Kanzel noch stark in ihm. Aber bei aller philosophischen Betrachtung, läuft das praktische Erschaffen nebenher. Seine Fabeln sind meisterhaft. Seine Dramen finden sich bis heute auf den Spielplänen deutschsprachiger Theaterbühnen. Sein Gedanke der Toleranz und Menschlichkeit wirkt bis heute auf das Gewissen unserer Nation. „Nathan der Weise“ wird zu DEM Stück nach 1945.

Lessing-Locke

Über all die Stationen (Leipzig, Berlin, Hamburg…) im Leben des Dichters informiert das Lessing-Museum in Kamenz auf nette Art und Weise. Der Besucher wird nicht stumpf mit Infomaterial überladen. Die Räumlichkeiten sind überschaubar, die Lebensaspekte werden einfach, pointiert und vielgestaltig präsentiert. Sprich: Auch der notorisch lustlose Teenager könnte den Museumsbesuch überleben.

Daniel Ratthei

Mein Tipp: Wer in Kamenz vorbeischaut, sollte auch den Hutberg am Stadtrand besteigen. Der Bergpark besticht durch verwunschene Nadelhölzer, Rhododendren und Azaleen. Oben wartet eine der größten sächsischen Freilichtbühnen, der Lessingturm mit toller Aussicht und das wohlverdiente Bier im Ausfluglokal.

 

 

 

 

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