„Der spannendste Kunstbestand dieser Art”

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Ulrike  Kremeier, Direktorin des Brandenburgischen Landesmuseums für moderne Kunst (BLMK), über die Sammlungen und ihre Attraktivität, Angebote in der Corona-Krise, über Gegenwärtiges und Zukünftiges

Ulrike Kremeier. Foto: Florian Ganslmeier

Sie haben in den letzten Wochen wiederholt ein Corona-Thema aufgegriffen und in Beziehung zur Kunst gesetzt. Was bedeuten Distanz und Nähe und Perspektive für den Kunstbetrachter und für die Wirkung von Kunst?

Hierbei ging es mir um Corona als Phänomen, manchmal auch als Symptom, das unsere sozialen Beziehungen massiv verändert. Fragen nach der menschlichen Physis sind seit jeher ein wesentliches Thema der Bildenden Kunst. Einerseits ist die Repräsentation von Körper immer mit Fragen nach (Selbst)Ermächtigungen und dem Thema gesellschaftlicher Verhältnisse verbunden, andererseits ist der direkte physische Bezug zwischen Kunst und Betrachter*in ein wichtiger Aspekt des sinnlichen Erlebens von Kunst und ein Erkenntnisgewinn. Wie nah bzw. wie distanziert kann/muss das Verhältnis von Mensch zu Mensch sein, läuft analog zur Frage nach Nähe und Distanz zwischen Mensch und Kunst.

Könnte Kunst vielleicht, hier können wir sicher nur spekulieren, wenn sie eines Tages das Thema Corona aufarbeitet, Impulse für ihr eigenes Wirken aufnehmen? Gibt es dafür Beispiele in der Historie?

Seuchen und Krankheiten haben sich in die Kunst und ihre Geschichte eingeschrieben, seit es beides gibt! Denn alle einschneidenden, die Menschheitsgeschichte verändernden Ereignisse sind zu Themen der Kunst geworden. Alle Epidemien der Geschichte haben ihre Spuren in der Kunst hinterlassen: Egal, ob es sich um Pest, Cholera und Spanische Grippe handelte, die teilweise bereits in der Antike eine Rolle in der Kunst spielten und in der Renaissance ein Dauerthema waren. Jedoch müssen wir gar nicht so weit in die Kunstgeschichte zurückgehen: Ab den frühen 1980er Jahre hat Aids die Welt verändert und auch in der Kunst entsprechend einen Niederschlag gefunden. Mit Corona wird es mutmaßlich ähnlich gehen. Am Ende geht es nicht um die medizinischen Aspekte von Epidemien und Krankheiten, sondern um ihre sozialen, politischen und ethischen Konsequenzen. Interessant sind aber nicht nur die moralischen/ethischen Dispositive, sondern auch die Bilder, die produziert werden: Oftmals als göttliche Strafe beschrieben, fanden bisherige Seuchen mit Bildern als apokalyptisches Getümmel Eingang in die Kunstgeschichte. Das Coronavirus wird sich möglicherweise mit Bildern der Leere und der Distanznahme in die Kunst einschreiben.

Das BLMK hat zuletzt durch die verschiedensten Formate versucht, den notwendigen Verzicht auf den Museumsbesuch zu kompensieren. Nur ein Ersatz, oder kann daraus Bleibendes entstehen?

Nichts kann einen Museumsbesuch und das direkte Gegenüber mit dem Original ersetzen. Daher geht es dem BLMK mit den Programmen im digitalen Raum nicht um Ersatz, sondern um Erweiterung. Wir probieren gerade allerhand Formate und Möglichkeiten aus: Es wird nach der Wiederöffnung des Museums nicht alles übrig bleiben, einiges hingegen schon. Das wird allerdings weiterentwickelt werden.

Außerdem kann auch nicht außer Acht gelassen werden, dass solche Programme viel Arbeit machen. Normalerweise haben wir im BLMK fast keine personellen Kapazitäten dafür. Davon abgesehen sollten wir auch die Fragen nach der Erwartung an Dauerverfügbarkeit von Kunst einerseits und der Ökonomie andererseits nicht komplett ausblenden. Denn von der kostenlosen Sekundärverwertung von Kunst im Internet können Künstlerinnen und Künstler noch schlechter leben als ohnehin schon.

Besteht eine Chance darin, die technische Versiertheit der Kinder und Jugendlichen zu nutzen und verstärkt digitale Inhalte zu unterbreiten?

Ja, natürlich. Einerseits sind in die museumsinterne Entwicklung und Umsetzung der digitalen Projekte federführend unsere sehr jungen Mitarbeiter*innen involviert, andererseits richtet sich  das Programm vielfach an medienaffine Menschen: Es ist für alle, egal ob jung, älter oder alt etwas dabei, jedoch ist der Internetzugang Voraussetzung für die Teilhabe. Aber wie gesagt, die virtuellen Programmebenen sind immer eine Erweiterung, kein Substitut.

Sie leiten das heutige BLMK seit acht Jahren. Haben sich Ihre Erwartungen erfüllt?

Naturgemäß haben sich manche Erwartungen erfüllt, manche Hoffnungen auch nicht. Das ist aber auch normal, ich stecke einerseits die Ziele immer gern ein bisschen höher und muss wohl andererseits auch zugeben, dass ich beizeiten von einer gewissen Ungeduld angetrieben bin. Aber ich hatte nie einen Zweifel an der Relevanz unserer Sammlung und dem, was wir im BLMK programmatisch wollen. Und ich habe den Eindruck, dass wir diese Inhalte, Werte und die methodischen Ansätze inzwischen auch ganz gut kommuniziert und immer breiter gestreut bekommen. Und dennoch: Wir müssen uns und unser Tun immer kritisch hinterfragen, uns immer wieder neu justieren und vor allem positionieren. Die eigenen Erwartungen sind eine Ebene, die Erwartungen, die von außen an uns herangetragen werden – sei es durch die Öffentlichkeit, sei es durch unsere Rechtsträger und Geldgeber – sind eine weitere Ebene. Niemals werden alle Erwartungen, weder die eigenen, noch die anderen, zur Gänze erfüllt werden. Wichtig finde ich daher, die Erwartungen, Kriterien und Zielstellungen sowie Möglichkeiten und Rahmenbedingungen klar zu kommunizieren und abzugleichen.  

Wird das Museum im Prozess des Strukturwandels in unserer Region gebraucht?

Ja natürlich! Und zwar ganz dringend. Eine Museumssammlung ist nicht nur ein ästhetischer Wissensspeicher, sondern zeugt auch immer von Entwicklungen, aber auch von Brüchen der Kunstgeschichte, Geschichte, Politik sowie Identitätsverschiebungen und Veränderungen einer Gesellschaft. Kunst spiegelt auf die eine oder andere Weise gesellschaftliche Prozesse. Indem sie eine mögliche, durchaus auch individuell geprägte Perspektive auf die Bedingungen menschlichen Daseins und unterschiedliche Betrachtungsweisen von Wirklichkeit entwirft. Die Rezeption von Kunst eröffnet Menschen Denk- und Freiräume, denn obschon natürlich auch Kunst Regeln unterworfen ist bzw. sich selbst Regeln unterwirft, postuliert Kunst keine unumstößlichen Wahrheiten, sondern schärft den Blick für unterschiedliche Herangehensweisen an ein Thema.

Das BLMK hat mit seiner Sammlung von DDR-Kunst in der vorliegenden Größenordnung ein Alleinstellungsmerkmal. Diese Kunst,  oft als „Staatskunst” abgewertet, hat durch ihr Wirken neue Bedeutung gewonnen. Woher nahmen Sie die Gewissheit und den Mut, sich vehement dieser Abwertung entgegenzustellen?

Zunächst einmal: Mit Mut hat das nichts zu tun. In meiner Laufbahn als Museumsfrau habe ich in sehr unterschiedlichen Ländern und Kulturen und damit verbunden mit sehr unterschiedlichen Kunstformen und -begriffen gearbeitet. Daher weiß ich um die Hegemonien des Kunstbetriebs und der Kunstgeschichtsschreibung. Ohne an dieser Stelle in die diskursiven Details zu gehen: Ich habe diese Dominanzen und Vormachtsicherungen immer für falsch und kontraproduktiv gehalten. Denn nicht nur diese auf Partikularinteressen basierende Willkür ist dämlich, vielmehr beschneidet der dahinterstehende Ansatz der Homogenisierung und Hierarchisierung die Kunst um das, was sie überall auf dieser Welt gut kann: Nämlich ästhetische Reflexionen von Welt herstellen und Denkräume eröffnen.

Wie überall gab es auch in der DDR gute und weniger gute, interessante und weniger spannende Kunst. Ich hatte nach dem Fall der Mauer das Glück, sehr schnell die sehr interessante Seite der Kunst aus der DDR kennengelernt zu haben. Und das Staatskunst-Kriterium als vermeintliches Kill-Argument schien mir immer undifferenziert und platt.

Welche Erfahrungen, welches Feedback haben Sie bisher auf Ihre Ausstellungsstrategie erhalten, einem Kernthema, zum Beispiel aus der DDR-Kunst, ähnliche Themen aus früheren Epochen, aber auch aus der Zeit nach der DDR, also eine historisch nachvollziehbare Fixierung vorzunehmen?

Das Programm des BLMK und dessen Grundhaltung wird sehr positiv aufgenommen. Marketingtechnisch wären

Auf der Leiter, aber nicht hoch hinaus. Foto: Marlies Kross

wir momentan vielleicht sogar noch erfolgreicher, wenn wir überall DDR draufschreiben würden. Jedoch halte ich diesen Ansatz langfristig nicht für zielführend. Denn das BLMK zielt darauf, an Kunst das zu zeigen, was sie ist, nämlich eine ästhetische Praxis. Die Bildproduktion aus der Zeit der DDR ständig an das politische System zu binden, halte ich für eine fahrlässige Verkürzung, die die Kunst aus der DDR zum Exotismus der Vergangenheit werden lässt, deren Existenz an einen Staat gebunden scheint. Und das ist natürlich echter Humbug, denn es reduziert Kunst auf ihren zeitgeistigen Zeugnischarakter. Außerdem ist auch Kunst aus der DDR weder formal, noch inhaltlich homogen. Die Oeuvres von Herrmann Glöckner, Bernhard Heisig und Oskar Nerlinger könnten unterschiedlicher nicht sein, sind aber echte Gallionsfiguren der Kunst aus der DDR. Die künstlerischen Haltungen von Annemirl Bauer, Sybille Bergemann, Clemens Gröszer, Sabine Herrmann, Thomas Kläber, Klaus Killisch, Gabriele Stötzer, Ludwig Rauch, den Moschisten oder den Autoperforationsartisten usw. sind ebenso wichtig, wunderbar und jeweils verschiedenen Szenen zuzuordnen. Und diese Aufzählungen von relevanten Künstler*innen und Positionen von Kunstszenen Ostdeutschlands und der DDR ließe sich noch seitenweise fortführen. Die jungen Künstler*innen, deren Arbeit in verschiedenen Traditionslinien ostdeutscher Kunst zu betrachten ist, sind hier ebenso wenig benannt, wie die kunsthistorischen Bezugsgrößen. Wir müssen genau hinschauen und differenzieren, anstatt holzschnittartige Zuschreibungen und Vereinheitlichungen vornehmen zu wollen. Niemand würde ernsthaft inhaltlich oder terminologisch Kategorien wie Frankreich-Kunst, BRD-Kunst, Russland-Kunst etc. eröffnen wollen. Also sollten wir solche vereinfachenden Pauschalisierungen auch im Hinblick auf Kunst aus der DDR und Ostdeutschland nicht vornehmen.

Das BLMK in seiner heutigen Gestalt entstand vor zwei Jahren durch die Fusion der kunstmusealen Einrichtungen in Cottbus und Frankfurt (Oder). Zwei Standorte: Was kann Frankfurter an Cottbus interessieren, und ist Frankfurt für Cottbuser eine Reise wert? In welchem Ausmaß wirken die Synergieeffekte eines solchen Doppelstandortes bereits?

Die Sammlungen des Museum junge Kunst Frankfurt (Oder) und die des Kunstmuseum Dieselkraftwerk Cottbus weisen Ähnlichkeiten, aber auch Unterschiede auf. Das Wesentliche ist: Es sind wirklich gute Sammlungen, die sich wechselseitig ergänzen. Die in Frankfurt (Oder) bzw. in Cottbus gezeigten Ausstellungen doppeln sich nie, sondern folgen derselben Programmlogik: Wir verweisen auf die Spezifika der Sammlung des BLMK und nutzen die Kollektion als Ressource, die wir in einen historischen Kontext einerseits und zeitgenössische Zusammenhänge andererseits stellen. 

Was können Kunst und was kann Kunstmuseum als Aktion gegen Rechtsextremismus?

Kunst steht immer auch für gesellschaftliche Werte(systeme), illustriert aber keine Real- oder gar Parteipolitik. (Kunst, die das tut ist meist stinklangweilig). Die Sammlung des BLMK beinhaltet keine Kunst, die auf Nationalismus, Rassismus und Chauvinismus basiert, sie bietet schlicht keine Grundlage, um rechtes Gedankengut zu befördern. Im Gegenteil: Aus dem Zeitraum 1950 – ca. 1975 beherbergt die Kollektion Kunst von Künstler*innen, die ihre negativen Erfahrungen mit dem Faschismus und Totalitarismus thematisieren. Auch der gesellschaftliche Egalitätsgedanke ist profund präsent. Diese Inhalte und deren Hintergründe der Kunst bringen wir als Museum natürlich in den öffentlichen Debattenraum. Weder die Kunst noch ein Kunstmuseum versuchen Menschen vorzuschreiben, was sie zu denken haben. Jedoch vermag ein Kunstmuseum vermittels der Inhalte und Formen, die sein Programm prägen, einen Diskussionsraum zu eröffnen, in dem man kreuz- und querdenken kann, in dem man auch kontrovers diskutieren kann (und sogar muss), denn ein Museum ist auch ein gesellschaftlicher Lern- und Bildungsort.

Was erwartet die Besucher nach Wiedereröffnung?

Das Cottbuser Dieselkraftwerk, eine der Wirkungsstätten von Ulrike Kremeier. Foto: Marlies Kross.

 Da wir den Publikumsverkehr kurz nach Eröffnung der aktuellen Ausstellungen coronabedingt einstellen mussten, haben wir den Ausstellungsplan so umgestellt, dass „Der Sachliche Blick“ in Frankfurt (Oder) sowie „1990. Fotografien aus einem Jahr über ein Jahr“ und „Kollektive Signaturen“ in Cottbus verlängert werden können. Denn es wäre bedauerlich, wenn solche wichtigen und durchaus auch aufwändigen Ausstellungen am Ende nur zwei Wochen zu besichtigen gewesen sein würden. Unser Publikum wird also das sehen können, wozu es zuvor noch keine Möglichkeit hatte. Ergänzt werden diese Ausstellungen dann noch durch ausdifferenziertere Rahmenprogramme, die wir aufgrund des Zeitgewinns weiter ausarbeiten konnten. Über Verschiebungen innerhalb des Programms der Jahre 2020 – 2022 haben wir bereits beraten, jedoch werden wir keine Ausstellungen komplett streichen.

Eine Vision, ein weiter Blick voraus: Wo sehen Sie die Bedeutung des BLMK, wenn der Ostsee gefüllt ist, die Touristen aus nah und fern herangeströmt kommen und die Bundesgartenschau eröffnet ist?

Ein Museum  adressiert sein Programm immer sowohl an eine lokale und regionale Öffentlichkeit, richtet sich aber natürlich auch an ein überregionales Publikum. Museumssammlungen sind immer einzigartig, es gibt sie kein zweites oder drittes Mal. Kunst ist durch die Kombination aus Universalität und gleichermaßen dennoch kultureller Spezifität, die in Teilen auf den Kontext ihrer Entstehung verweist.

Die Sammlung des BLMK umfasst etwa 42.000 Kunstwerke, von denen drei Viertel in der DDR entstanden sind. Die Werke aus dem frühen 20. Jahrhundert sind in der Regel wichtigen Referenzepochen wie z. B. (Spät-) Expressionismus und Neue Sachlichkeiten  zuzuordnen, und die Kunst, die nach 1990 entstanden ist, bildet unterschiedliche Traditionslinien ab, die sich aus dem historischen Bestand ableiten lassen. Es ist der weltweit facettenreichste und größte – und wie ich persönlich finde, vor allem auch der spannendste – Kunstbestand dieser Art. Dieses Alleinstellungsmerkmal des BLMK bildet für die Städte Cottbus und Frankfurt (Oder) eine wichtige, nachhaltige Attraktivität, die auch imageprägend ist. Touristische Angebote, die sich von unerquicklichen, auch ökonomisch uninteressanten Billigurlaubsideen abheben, funktionieren in der Regel  gut, wenn die Erholung vom Alltag aus einer Mischung zwischen Kultur und Naturerlebnis besteht.

Es gibt in Europa viele Regionen, die sehr erfolgreich eine Mischung aus aktiver Lebenslust und Erholung, die an Landschaft, Geschichte und Kultur einer Gegend geknüpft sind, vermarkten. Daran sollten wir uns ein bisschen orientieren.

Interview: Klaus Wilke

 

Ulrike Kremeier

lebt seit acht Jahren in Cottbus und arbeitet als Direktorin des Brandenburgischen Landesmuseums für moderne Kunst in Frankfurt (Oder) und Cottbus.

Sie ist am Bodensee aufgewachsen. Nach dem Studium der Kunstgeschichte und der Neueren Deutschen Literatur führte ihre Tätigkeit als Ausstellungsmacherin und Wissenschaftlerin zu mehrjährigen Aufenthalten in den USA, Österreich und Frankreich.

 

 

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