„Warum dieser Hass, warum diese Gewalt?”

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Jasmina Hadžiahmetović inszeniert im Staatstheater Cottbus Verdis Oper „Otello”

Als nächstes Opernprojekt kündigt das Staatstheater Cottbus  Giuseppe Verdis „Otello”  an. Regie führt Jasmina Hadžiahmetović, die bereits in der vergangenen Spielzeit Zuschauer und Kritik mit einer gelungenen Inszenierungsarbeit von Wagners „Der fliegende Holländer” begeisterte. Die Regisseurin wird ab der kommenden Spielzeit als Oberspielleiterin der Oper in Cottbus wirken, kündigte das brandenburgische Kulturministerium vor kurzem an. Jasmina Hadžiahmetović – eine Frau mit interessanter Vita, die ihre Kunst durchdringt. HERMANN war mit ihr im Gespräch.

Es ist vielleicht gut, die Geschichte dieses Cottbuser „Otello” von der Kindheit seiner Regisseurin aus zu erzählen. Jasmina Hadžiahmetović kommt aus Bosnien und wurde 1978 in Sarajevo geboren. Was sie zunächst erlebte, war die Kindheit in einem sozialistischen Land. „Wir waren alle Kinder und alle Jugoslawen. Wir spielten miteinander, stritten uns und vertrugen uns wieder, spielten weiter. Wie das eben Kinder überall tun.” Das änderte sich 1991, als Jugoslawien in seine Teilrepubliken zerbrach und Menschen verschiedener Sprachen, Kulturen und Religionen  einander zu missachten begannen. „Auch in der Schule griffen Gemeinheiten und Mobbing um sich. Da begann ich mich zu fragen: Warum sind Menschen böse aufeinander? Warum wollen die einen besser als die anderen sein?” 1992 brach der Bosnienkrieg aus. Szenen, die der Künstlerin nicht aus dem Kopf gehen. Die Angst, wenn die Eltern aus dem Haus gehen: Wenn sie nicht wiederkehren, sind wir – Jasmina und ihr jüngerer Bruder – Vollwaisen. Geborgenheit: Wie Mutter und Vater sich über sie warfen, wenn Gefahren von Geschossen und Granaten drohten. Und die Frage: Warum müssen sich Menschen dies antun? „Meine Mutter hatte noch die Erzählungen meiner Oma von den Gräueltaten im zweiten Weltkrieg im Gedächtnis. Sie wurde zum Motor, unsere Stadt und unser Land zu verlassen. Die Flucht mit uns Geschwistern führte nach Deutschland. Unser Vater glaubte nicht, dass der Krieg lange dauert und kam später nach.”

Eine immerwährende Frage

Mit auf den Weg nahm Jasmina die Frage: „Warum dieser Hass, warum diese Gewalt?” Diese Frage nach Vernunft und Gerechtigkeit begleitete sie weiter bis hinein in ein Jurastudium, das zwar wegen der Liebe zum Theater und einschlägigen Studien in Göttingen und Zürich nicht in einen Beruf führte, aber sehr wohl seine Spuren in der Theaterarbeit hinterließ. Wer immer über Jasmina Hadžiahmetović schreibt oder über sie spricht, hat entdeckt, dass sie auch in klassischen Opern und Schauspielen aktuelle Politik, spannende psychologische Aspekte und Probleme von Recht und Moral  findet und überzeugend herausarbeitet, ohne dem Dichter oder Komponisten Gewalt anzutun.

In Paris, Luxemburg, Zürich, Stuttgart, Bayreuth, Salzburg, Halle, Trier, Konstanz, Meiningen hat sie u. a.  Brechts „Mutter Courage”, Sartres „Schmutzige Hände”, Mozarts „Idomeneo”, Bizets „Carmen”, Schuberts „Winterreise” und Verdis „Ernani” mit großem Erfolg inszeniert. Im Berliner Dom gestaltete sie einen bewegenden Abend über die Themen Flucht und Umgang mit Fremden. Und im Radialsystem Berlin machte sie Erinnerungen an den Bosnienkrieg zum musiktheatralen Ereignis. Nicht zu vergessen ihr „Holländer” in Cottbus: Ein wunderbarer Wagner, dem die psychologisch fein gearbeitete, feministisch angehauchte, selbstbewusste Senta der Tanja Kuhn nichts wegnahm.

Wenn das Böse permanent lauert

Das ist ein breites Spektrum großen Theaters, dem sich nun Verdis „Otello” in Cottbus dazugesellt. Aus dem, was Jasmina Hadžiahmetović vorausblickend erzählt, ist zu erkennen, dass sie keine bloße Eifersuchtstragödie auf die Bühne bringen will. Im Gegenteil: Dieser „Otello” könnte so etwas wie ihre Antwort auf den Zustand der Welt heute sein. Sie nennt die Inszenierung ihr „Jago-Experiment”. Jago ist der große Gegenspieler des erfolgreichen Feldherren Otello, genannt Mohr von Venedig. Er hasst ihn, weil er sich in seinen gesellschaftlichen Aufstiegs- und Karrieregelüsten von ihm übergangen fühlt und mehr noch vielleicht wegen Otellos Fremdseins. „Jago verkörpert im Innersten und im Äußeren das Böse im Menschen, das Gutes nur verabscheut. Er will nur zerstören. Er hasst die Menschen, die Harmonie zwischen ihnen, Freundschaften, Beziehungen, Partnerschaften. Die gemeine Intrige, die Otellos Eifersucht schürt, ist so eine Tat voller Hass, die nichts Menschliches mehr an sich hat. Für das Böse ist Jago bereit, mit teuflischer Lust alles zu tun, jede Gewalt auszuüben. Er ist das Urbild von Menschen, die im 20. und 21. Jahrhundert Kriegsverbrechen verüben.”

Manipulierbare Menschen

Verdi hat, auf dem genialen Dramenautor Shakespeare aufbauend, noch mehr Brisanz aufzubieten, die, weil ganz zeitlos, auch heute aktuell ist. „Otello kehrt bejubelt aus dem Krieg zurück. Sollte man Helden so verehren? Immerhin ist Blut geflossen, oft unter dem Zeichen von Massakern.” Der Regisseurin kommt da Srebrenica in den Sinn, wo 1995 8.000 Bosnier ermordet wurden („Und ganz Europa schaute nur zu”). „Trotzdem: Aufgenommen wird Otello in diese Gesellschaft nicht. Wegen seines Andersseins, wegen seiner Fremdheit. Dieser widersprüchliche Otello ist denn auch bereit, seine ganze Wut an Desdemona auszulassen. Schlimm, wie manipulierbar Menschen sind! Wir können das 500 Jahre später genauso erleben, weil nicht wenige Menschen falschen Propheten, Rattenfängern und VerFÜHRERN zu folgen bereit sind. Warum nur dieser Hass, warum diese Gewalt?”

Klaus Wilke

 

Es singen und spielen unter  der musikalischen Leitung von GMD Alexander Merzyn u. a. Mikhail Agafonov a.G./Jens Klaus Wilde (Otello), Andreas Jäpel (Jago), Alexandra Steiner a. G. (Desdemona).

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