Die Verwandlung eines Waldes

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Wie im Staatstheater Cottbus aus einer Schauspiel- eine Filmproduktion wurde

 Ja, ja, der Wald. Der junge Regisseur und Schauspieler Gordon Kämmerer, der am Staatstheater Cottbus zusammen mit Wiebke Rüter eine Produktion unter dem Titel „Der Wald” zur Uraufführung bringen soll, bringt dafür zwei bzw. sogar drei gute Voraussetzungen mit. Er ist mit dem Theater und dem Wald aufgewachsen. Seine Eltern pflegten den Gesang in Opernchor und Musicalinszenierungen. Und in Eisenach geboren, hatte er den Thüringer Wald vor der Nase.

Regisseur Gordon Kämmerer
Foto: Marlies Kross

 „Im Wald”, erzählt er, „fühlte ich mich schon als Siebenjähriger geborgen und heimisch. Meine Oma hatte alle Ängste zerstreut. Ich wähnte mich in einem lebendigen Märchenbuch und auf einem  Abenteuerspielplatz.” Natürlich erlebte er mit, wie sich der Wald von Tageszeit zu Tageszeit, von Jahreszeit zu Jahreszeit und unter Witterungseinflüssen wandelt. „Im Wald war immer was los, aber manchmal brannte oder verdorrte er. Als ich mit dem Schauspiel- und dem Regiestudium fertig war, wusste ich: Der Wald muss irgendwann und irgendwie auf die Bühne.”

Das erfuhr vor Jahresfrist Wiebke Rüter, die 1. Schauspieldramaturgin im Staatstheater Cottbus. Die war sich sicher, dass sich eine solche Inszenierung perfekt in einen Spielplan einfügen wird, der von den Themen Heimat, Zukunft und nationale Identität geprägt sein sollte. „Mich interessierte: Warum ist der Wald der Deutschen liebstes Motiv, das immer wieder in Opern, Gemälden, Stücken, Märchen dominiert? Warum sehen sie Identität in ihm? Der Wald ist spannend, weil er ambivalent, zwiespältig ist, schön und gruslig, düster und freundlich, im Wirbel zwischen Klimawandel und Dürre.”

Diese Ambivalenz finde ich in meinen Recherchenotizen wieder: Deutschland besitzt so viel Wald, dass man damit ganz Kuba oder Bulgarien bedecken könnte. Aber in jedem Jahr verwüsten Waldbrände – 2018 waren es 1708 – große Flächen – 2018: 2349 Hektar, Schaden: 2,67 Millionen Euro.

Dramaturgin Wiebke Rüter Foto: Marlies Kross

Der Wald erwies sich als ein gutes Thema. Die Beiden wollten sich durch die Historie hangeln: vom Wald in altgermanischen Heldenliedern wie der Edda, im Blickwinkel des römischen Historikers Tacitus, über die Schlacht im Teutoburger Wald, die Widerspiegelung des Waldes in der romantischen Märchenwelt, seine Verklärung durch die Nationalsozialisten bis hin zum Waldsterben um 1980 und der Tesla-Ansiedlung in der Gegenwart. Der Wald im Wandel der Zeiten und der Gesellschaften. Ein Drittel von Deutschland ist Wald. Wen macht das stolz? Und ist der Stolz berechtigt? Nebenbei bemerkt: Es soll auf der Welt 3040 Milliarden (!) Bäume geben. Das bedeutet fast 400 für jeden gegenwärtigen Erdbewohner! Was für eine Ressource für ein glückliches, gesundes Leben, wenn sie nicht im kapitalistischen Profitstreben erstickt würde. Greenpeace: Alle drei bis vier Sekunden geht weltweit ein Stück Wald, so groß wie ein Fußballfeld, verloren. Ein Wandel, der zur Vernichtung wird.

Ein Thema, das es in sich hat. Wiebke Rüter hat sich, Gordon Kämmerers Ideen folgend, heiß geschrieben. In den Werkstätten wurde bereits intensiv gebaut. Dann kam alles anders. Corona kam, und das Theater musste schließen. Zum Glück war guter Rat nicht teuer. Gordon Kämmerer: „Intendant und Schauspieldirektor stärkten uns, standen hinter unserer Idee und gab uns grünes Licht, ein neues Format zu entwickeln. Neu musste es sein, denn der Theatervorhang war unten.” Der Regisseur – das ist seine „dritte gute Seite” – hat als freier Schauspieler in einigen Filmproduktionen mitgewirkt und Gefallen daran gefunden.

Theaterplastikerin Claudia Düsing arbeitet am Mickey-Mouse-Kopf für „Der Wald” Foto: Marlies Kross

Ja, ja, die Corona. An niemandem in dem Inszenierungsteam ist sie völlig vorübergegangen. Sie hat ihre Spuren hinterlassen, weil Proben- und Auftrittsmöglichkeiten fehlten. Sie war zum Thema Nummer Eins geworden. Das rief danach festgehalten, dokumentiert zu werden. „Wir machen einen Film daraus”, hieß es dann. Grundidee: Eine Theatergruppe studiert unter Coronabedingungen ein Stück über den Wald ein. Noch ein Wort machte die Runde: „Es wird eine Mockumentary, eine groteske Scheindokumentation.” In Jan Isaak Voges fanden die Theaterkünstler einen engagierten Kameramann. Wiebke Rüter: „Der Film gibt interessante Einblicke. Wie kann man Theater spielen, wenn man Abstand halten muss und sich nicht berühren darf? Geht das: Maske aufhaben und sprechen? Überhaupt: Kann man spielen, wenn man Angst hat? Und wie ist das mit der Kinderbetreuung? Weil der Film im Theater spielt, gibt es auch manchen reizvollen Blick hinter die Kulissen. Immer mal wieder fallen auch Sätze aus dem Stück über den Wald. Wie schön wäre es, wenn wir den ,Wald` auf die Bühne unseres schönen Großen Hauses bringen könnten. Ehrlich: Es ist schmerzhaft, wie die Corona den Wald aus unserer Kunst verdrängt. Aber sie bestimmt nun mal unser ganzes gegenwärtiges Leben.”

 Und das Virus hat weltweit (Stand: 13. Juni) schon 7,7 Millionen Menschen infiziert. 440.000 sind gestorben. Hinter einer jeden Zahl steckt ein Mensch.

Wer thematisiert, wie man mit der Pandemie umgehen kann und dass der Mensch nicht hilflos ausgeliefert ist, gibt vielleicht Impulse dafür, wie er sich Krisen entgegenstellen kann.

Vielleicht findet der Film dafür ein größeres Publikum in Kinosälen. Oder gar bei dem einen oder anderen Festival?

Klaus Wilke

 

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