Editorial Juni 2021

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Auf der jüngsten Hauptausschusssitzung der Cottbuser Stadtverordnetenversammlung erzählte der Oberbürgermeister von den sechs Impfstraßen am Impfstand, der neulich eröffnet wurde. Einladungen wurden verschickt und Leute kamen. Die Anzahl der vorhandenen Impfdosen: 170. Nach einer Stunde war alles verimpft. Alle anderen mussten wieder nach Hause geschickt werden.  Unfassbar! Bis zu 900 Personen könnten in den Cottbuser Impfzentren pro Tag geimpft werden. Gemeinsam mit den Hausärzten wäre es möglich, in Cottbus bis zu 10.000 Leute an einem Tag zu impfen. Der Spuk könnte also für unser Spreeathen binnen zehn Tagen vorbei sein. Mit selbstgewählten Ausnahmen, selbstverständlich. Hätte, wäre, könnte. Was fehlt, macht der OB ebenso klar, sind die Impfstoffe. Die Stadt, führt er weiter aus, hat keinen Einfluss auf die Zuwendung von Impfstoffen. Das entscheidet allein die Bundesregierung. Nur die Bundesregierung hat in der Bundesrepublik das Recht, Impfstoffe zu beschaffen und zu verteilen. Danach sind die Bundesländer in der Verantwortung. „Wir sind nur Zuschauer“, so der OB. Von denen, die beschaffen und verteilen, lebt offensichtlich keiner unter Leuten. Manchmal habe ich das Gefühl, dass die Entscheidungs- und Verteilungsträger einen so langen Arbeitstag haben, dass sie gar nicht mehr auf die Idee kommen, noch mal schnell einkaufen, aus- und essen gehen, andere Menschen treffen oder gar Kunst und Veranstaltungen besuchen zu wollen. Deshalb steht das auch nicht im Fokus ihrer Gedanken. Dass es durchaus Menschen gibt, die ihre Arbeit als solche betrachten und sich gern mit Leuten treffen – auf dem Fußballplatz, im Konzertsaal, in der Eckkneipe, scheint ab einem bestimmten politischen Elitegrad nicht mehr bekannt zu sein. Und weil diesem wichtigen gesellschaftlichen Kleister zu wenig Aufmerksamkeit gewidmet wird, läuft auch gehörig was schief. Ich schlage hiermit die Eckkneipe zur Aufnahme in das UNESCO-Weltkulturerbe vor. Für die Jüngeren unter uns: Dort wurden jeden Abend nicht nur Unmengen Geld versoffen, sondern auch alle Reden gehalten, die heute ungefiltert durch Social-Media wabern. Der Unterschied: Nachdem der Großteil der Anteilnehmenden nicht mehr stehen konnte und nach Hause schabernackte, hatten auch alle anderen die Inhalte der Reden direkt vergessen. Also konnten sie meist in abgewandelter/m Form und Inhalt am nächsten Tag wieder gehalten werden, ohne dass sich jemand daran erinnern konnte. Und am nächsten Tag wieder. Und wieder. Und wieder.

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