Kolumne September

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Angst vor der Angst

Perlt Ihnen der Schweiß manchmal von den zu Berge stehenden Nackenhaaren, läuft von da aus eiskalt den Rücken herunter? Dann kennen Sie sicher dieses unbestimmte Gefühl: Werde ich gerade beobachtet oder spielt mir meine Fantasie einen üblen Streich? Sollten Sie gerade vor Freude auf und ab wippen und ihr Glück kaum fassen, dass Sie endlich jemand versteht, dann habe ich unter Umständen eine unbequeme Wahrheit für Sie. Vielleicht leiden Sie an Anatidaephobie, der Angst, von Enten beobachtet zu werden. Um das klarzustellen, es geht nicht um die Tiere an sich. Sondern um den durchdringenden Blick der gefederten Teufelsbrut. Für Betroffene wird nicht nur das Bad in der eigenen Wanne zur absoluten Mutprobe. Denken Sie nur an Ente süß-sauer, Alfred Jodokus Kwak oder diesen unsäglichen Trend, auf Selfies die Lippen zum sogenannten Duck-Face zu spitzen. Sicher waren es Anatidaephobiker, die irgendwann damit begonnen haben, entsprechende Bilder mit dem Wort „PENG“ zu kommentieren. Die wenigsten Ängste sind rational zu erklären, aber so manches wirkt doch arg konstruiert. Der erste Anatidaephobiker hatte wahrscheinlich einfach keine Lust auf den Spaziergang im Park. Und woher Cenosillicaphobie und Novinophobie kommen, dürfte selbsterklärend sein. Ersteres beschreibt die Angst vor leeren Gläsern, letzteres die Angst vor leeren Weinflaschen. Ist es also die Angst, die nach dem Genuss von je einer Flasche Tempranillo und Grauem Burgunder Zunge und Beine lähmt? Für mich klingt das plausibel. Bei der Arachnophobie werden Betroffene direkt mit Spinnen konfrontiert. Welche Therapie empfehlen die Experten bei Angst vor leeren Weinflaschen? Nähern wir uns Schluck für Schluck dem Boden der Tatsachen? Und wer stellt mir in diesem Fall ein Rezept aus? Die Klassiker unter den Ängsten sind für mich aber nach wie vor Hippopotomonstrosesquippedaliophobie und Phobophobie. Die Angst vor langen Wörtern, beziehungsweise die Angst vor der Angst. Was genau fangen wir jetzt an mit diesem Füllhorn an unnützem Wissen? Wenigstens so viel: Manchmal lohnt es sich, einen Gang runterzuschalten. Nur weil Behörden zum generell vernünftigen sparsamen Umgang mit Wasser aufrufen, muss ich keine Angst vor dem Verdursten haben. Nur weil mein Gegenüber eine andere Sprache spricht als ich, muss ich nicht gleich befürchten, dass er mir an die Wäsche oder in die Tasche will. Und nur weil Gerd den Jürgen liebt, muss ich keine Angst haben, morgen homosexuell aufzuwachen. Nicht erst seit dem Kultfilm aus den 70ern gilt nämlich: Angst essen Seele auf. Und nun entschuldigen Sie mich, in ungefähr einer halben Stunde wird mich die Novinophobie packen.

Autor: Sebastian Schiller

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