„Cottbuser Spielstätten genießen überregional einen sehr guten Ruf“

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Olaf Kretschmar ist seit kurzem Vorsitzender des Bundesverbandes Pop, der sich dafür engagiert, die Strukturen für populäre Musik in der Breite aufzubauen.

Sie sind gerade zum Vorsitzenden des Bundesverbandes Pop gewählt worden. Was macht der eigentlich?

Der Verein ist die Interessenvertretung all derer, die sich lokal, regional und überregional mit der Förderung von Popkultur und Popularmusik befassen. Wir wollen dem Pop in diesen schwierigen Zeiten das Überleben und einen Weg in die Zukunft zu sichern.

Wie dramatisch ist die Lage in Deutschland?

Die Lage ist im gesamten Livebereich sehr dramatisch, weil es kaum möglich ist, alternative Modelle zu entwickeln. Man kann in anderen Bereichen viel digital machen, Livemusik aber sollte man auch live gemeinsam mit anderen erleben können.

Auch die Clubs in Cottbus sind von der Wucht der Konzertabsagen arg getroffen. Wie kann bzw. sollte ihnen praktisch geholfen werden?

In Cottbus ist eine interessante Szene entstanden, Spielstätten, wie das Gladhouse und das Bebel genießen auch überregional einen sehr guten Ruf. Sie müssen erhalten werden. Clubs sind die öffentliche Plattform der jungen Menschen, wer die Zukunft in der Stadt halten will, muss Clubs sichern. Es ist unzureichend, immer nur auf die Bundespolitik zu verweisen, hier handeln die Kommunen im ureigenen Interesse. Natürlich müssen die November- und Dezemberhilfen endlich über den Tisch, sonst sind die Betriebe schnell zahlungsunfähig. Die Rücklagen sind aufgebraucht. Es gibt jetzt wirklich ein Liquiditätsproblem und vielleicht müssen hier die Kommunen zwischenfinanzieren. Vor allem aber müssen die Kommunen in ihrer Finanzplanung für 2021 Mittel für die Unterstützung ihrer Musikszene bereit stellen. Den Rotstift ausgerechnet bei der Kultur anzusetzen, wie das in einigen deutschen Städte bereits erwogen wird, wäre kommunaler Selbstmord.

Was können die Clubs selber tun, um sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen?

Miteinander reden, austauschen, zusammenschließen, gemeinsam proaktiv Vorschläge für Hilfsmaßnahmen entwickeln und Verbündete in Politik, Verwaltung, Wirtschaft und in anderen Kultursparten suchen. Die klassische Netzwerkarbeit wird in der Krise existentiell! Auch der Schulterschluss zur klassischer Musikkultur stand in der Vergangenheit schon auf der Agenda. In der Krise haben alle Veranstalter jetzt ähnliche Probleme und vielleicht gelingt es uns, neue Koalitionen zur Bewahrung der Kultur in den Kommunen zu schmieden. Mit der Clubkommission Cottbus gibt es ja schon eine gute Netzwerkstruktur, vielleicht können sich noch mehr Akteur*innen damit verbinden (www.facebook.com/clubkommissioncottbus/).

Manche sagen, Konzerte seien doch nur Freizeitspaß?!

Jetzt in der Krise merken viele Menschen erst, welchen elementaren Stellenwert Kultur für sie hat und wie geradezu existenziell gemeinschaftliches Musikerleben für sie ist, ob in der Oper oder im Technoclub. Musik ist nicht nur Spaß, sondern auch Sinnsuche, Selbstfindung, Emanzipation. Insofern hat Musik eine soziale Bedeutung, manchmal ist sie sogar Soundtrack für eine Jungendbewegung, wie Techno in den 90ern. Unter Leuten zu sein und sich emotional zu verbinden oder auszutauschen gehört zu unserem menschlichen Wesen. Wenn das in Quarantäne gestellt ist, wird die Luft für manche schon sehr dünn. Die Menschen brauchen Musik, um glücklich zu sein.

Und das überall, nicht nur in den Metropolen, sondern auch in der Fläche, oder?

Es braucht auch im dörflichen Raum, in Klein- und Mittelstädten Orte, wo sich junge Leute treffen und über die Liebe und die Welt verständigen können. Es muss in die Köpfe der politischen Entscheidungsträger, dass man genauso in der breiten Fläche Clubkultur braucht, sonst funktioniert sie auch im Hotspot nicht.

Warum nicht?

Die Stars sind doch nicht alle in den großen Metropolen der Welt aufgewachsen. Viele kommen aus der Provinz und haben da ihre ersten künstlerischen Schritte unternommen. Es ist wie im Sport, ohne Breitensport hast du keinen Leistungssport.

Auch das Kulturleben in Berlin wird von vielen zugezogenen Künstlern geprägt. Ein Beispiel sind zwei Ex-Mitglieder der früheren Elsterwerdaer Band Viginia Jetzt!, die vor Jahren  den Berliner Kneipenchor gründeten…

Ohne die Brandenburger gäbe es die Berliner Kulturszene in dieser Form nicht. Eine Vielzahl der Menschen, die künstlerisch oder auch unternehmerisch für den Erfolg der Berliner Musikszene stehen, kommen aus Brandenburg. Und die märkisch-kulturelle Inspiration hat ja eine lange Tradition. Bereits im 19. Jahrhundert sorgte der Dandy und Lebemann Hermann Fürst von Pückler aus Branitz bei Cottbus in der preußischen Hauptstadt durch Extravaganzen für Aufsehen. Der „Grüne Fürst“ hat die Berliner nicht nur durch einen Ballonflug auf dem Gendarmenmarkt oder Kutschfahrten mit einem Hirschgespann schockiert. Der berühmte Gartenarchitekt, Weltreisende und Begründer der modernen Reiseliteratur war ein exzellenter Netzwerker in der preußischen Hauptstadt und hat den politischen Liberalismus hier befördert. Das nach ihm benannte Eis ist gleichwohl nicht seine Kreation, sondern geht auf einen Konditormeister aus Cottbus zurück.

 Der Ärzte-Bassist Rodrigo Gonzalez sinnierte jüngst über eine mögliche Veränderung der Livemusikszene. Vielleicht würden Bands künftig weniger in den Clubs der Großstädte spielen und wie in den 80ern wieder öfter in der Provinz. Eine interessante Vorstellung?

Durchaus. In gewisser Hinsicht ist sie auch nahe an meiner Ansicht, dass der Hype um die Hotspots außer Acht lässt, wie wichtig die sogenannte Provinz auch für die Prosperität der Hotspots ist. Im Bundesverband Pop engagieren wir uns deshalb dafür, die Strukturen für populäre Musik in der Breite aufzubauen. Übrigens ist es nicht neu, dass Bands das Umland entdecken. Es gibt etliche kleine Festivals auf dem Lande, die von Großstadtkünstlern bespielt werden, wie das Uckermark-Festival. Und auch Fusion hat mal auf einem Truppenübungsplatz angefangen.

Bundesverband Pop klingt wenig poppig, eher bürokratisch-lobbyistisch. Braucht es so etwas heutzutage?

Die Angst vor allem Uncoolen hat bei den Künstlern und Künstlerinnen dazu geführt, dass sie in Deutschland keine adäquate Interessenvertretung haben. Es gibt keinen Gesamtverband auf Bundesebene. In der jetzigen Krise ist auch deutlich geworden, dass sich die Musiker und Musikerinnen unbedingt mit anderen Branchensegmenten verbinden müssen: mit Labels, Verlagen, Start ups, Spielstätten. Dafür braucht es Strukturen. Die romantische Attitüde des Nur-Künstlerseins verhindert, dass die Kunstschaffenden eine adäquate Rolle spielen können. Mit der internationalen Musikwirtschaftskonferenz Most Wanted: Music, die wir jedes Jahr in Berlin veranstalten, heben wir den Austausch in der Popmusikbranche auf eine professionelle Ebene. Die Krise hat gezeigt, wie überlebenswichtig kulturelle Angebote zur Vernetzung und zum Austausch sind. Nicht nur für junge Leute.

Gibt es zwischen dem Clubleben in Berlin und anderen Städten Deutschlands eigentlich mehr Unterschiede oder mehr Verbindendes?

Das Verbindende überwiegt: die Sehnsucht nach Emanzipation, Selbstfindung und Authentizität, die Sehnsucht nach Begegnung mit Gleichgesinnten, was musikalische Vorstellungen betrifft, aber auch das Leben insgesamt. Ein Club ist der authentische Raum für gemeinschaftliches Musikerleben, mit der Betonung auf beidem: Musik erleben und zwar gemeinschaftlich. Weil dieser Lebensnerv der Clubs quasi abgeschnitten ist, sind sie von der Coronakrise besonders hart getroffen.

Als Bundespop-Antreiber kommt Ihnen sicher zugute, dass Sie den Kultur-Hotspot Berlin genauso kennen wie die sogenannte Provinz. Sie sind in Karl-Marx-Stadt aufgewachsen also auch ein Zugezogener?

Ja. Ich bin 1984 nach Berlin wegen des Studiums. In der 6. Klasse hatte ich dem Berufsberatungszentrum mitgeteilt, dass ich gedenke, Polarforscher zu werden. Hatten sie aber nicht. Weil ich trotz guter Noten keinen Abiturplatz bekommen hatte, bin ich erst mal Autoschlosser geworden und habe das Abi auf Abendschule nachgeholt, um dann nach Berlin zum Philosophiestudium zu gehen.

Weshalb Philosophie?

Die Frage nach der Dialektik von Freiheit und Ordnung hat mich sehr bewegt. Die Leute sagten immer: Man muss das Leben eben nehmen, wie das Leben eben ist. Warum?

Interview: Thomas Lietz

 

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