Von Budapest nach Almaty  

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Auch in der zweiten Woche des dieses Jahr verlängerten Filmfest Cottbus gab es einige Höhepunkte, die ich euch nicht vorenthalten möchte. Beginnen möchte ich gleich mit dem Wettbewerbs-Überflieger aus Ungarn:

Treasure City

Erinnerung an den November ’18

von Hajdu Szabolcz zeichnet anhand erst nach und nach miteinander verflochtener Episoden ein Sittengemälde der Stadt Budapest, das es in sich hat. Der Staat ist nur in Form ununterbrochener Antimigrations-Meldungen in den Medien und von Polizisten präsent, die Aktivisten verhaften, welche ein Regierungsgebäude mit Farbe beschmieren. Und doch drängt er sich indirekt als Verursacher einer verheerenden Deformation der Seelen der „Schatzstadt“-Bewohner auf.

Der Hauptfokus liegt indes auf dem Umgang der Menschen miteinander, in zerrütteten Beziehungen, eskalierenden Streitgesprächen und gegenseitigen Demütigungen. Ein Protagonist sagt es auch, die Menschen in dieser Stadt mögen es, den anderen zu erniedrigen. Dies wird vom Drehbuch in einer Konsequenz ausgemalt, die dem Film letztendlich seinen stillen Furor, die Wucht und den Erkenntnisgewinn verleiht.

Elegant und überraschend ist es die ganze Zeit über, wie die verschiedenen Handlungsstränge miteinander verknüpft werden. Ein großer Wurf, ich denke vor allem an „Wildnis“ von Benedek Fliegauf und die Filme von Ruben Östlund, aber auch Fassbinder und der frühe Béla Tarr scheinen durch.  

Auf andere Weise beanspruchend wird es in

The Secretary of Ideology

Ehem. Gebäude des Bau- und Montage-Kombinats Kohle und Energie

von Juri Piwowarow in der Sektion „Russki Den“. Zunächst sieht der Fünfzig-Minüter aus wie ein aktuelles Porträt des namensgebenden Sekretärs des Komsomol-Verbandes Stalingrad, (wie er selbst es nennt). Eine Handkamera begleitet ihn zum Begräbnis eines alten Kommunisten, zeigt wie er mit einem jungen Mitglied der KP Chinas unterwegs ist usw. Da sieht alles noch aus, als würde sich ein ehrgeiziger Jungpolitiker als einen ersten Karriere-Schritt optimal darstellen wollen.

Doch mit der Zeit, und das ist das Spannende, ereignen sich Dinge, die inszeniert sein müssen. So ist er zum Beispiel bei einer Komsomol-Sitzung in Moskau, bei der er geradezu verhört wird, wie denn der Kontakt mit den Chinesen überhaupt zustande gekommen ist. Und er fragt: „Werdet ihr mich erschießen?“ Immer stärker wird der Verdacht, dass es sich hier um eine Mockumentary handelt, also eine fiktive Dokumentation – wobei es hier eher der Fall ist, dass wahre Begebenheiten durch gewisse Aktionen und Äußerungen ins Fiktive gedrängt werden.

Dieses Verwirrspiel um kommunistische Strukturen und Lebensweisen, die sich bis in die Gegenwart erhalten haben, bezieht seinen Reiz aus der Unklarheit über den Anteil an Wahrheit im Gesehenen und dem überzeugenden Spiel (oder der Selbstinszenierung) des Hauptakteurs Iwan Komendantow, mit sechzehn schon schrullig und immer die Budjonny-Mütze auf dem Kopf.

Der Vorfilm „My own Sky“ (Regie: Pawel Palechin) verlegt eine Welt, in der sich (beinahe) jeder eine eigene Weltraum-Rakete kaufen kann, ästhetisch in die fünfziger Jahre. Origineller Kunstgriff, sehr sympathische Auflösung.

Etwas Unklarheit gibt es auch in einem Beitrag aus der Rubrik „Spotlight Česko“, vorausgesetzt, man hat den Artikel dazu im Programm-Heft nicht oder wenig gelesen, wie ich es prinzipiell zu pflegen tue. Die Rede ist von

„A certain kind of silence“

Farbskalen am Bau

 (Tschechien, Lettland, Niederlande) unter der Regie von Michal Hogenauer. Dieser leise Thriller schafft es mit völlig realistischen Mitteln, eine beklemmende, nicht genau zu ergründende Atmosphäre zu schaffen. Ein Au-pair-Mädchen aus Prag kommt zu einer wohlhabenden Familie in den Niederlanden. Die Eltern, bei denen man sich zwingend die Frage stellt, was mit ihnen nicht in Ordnung ist, der seltsame Junge, den die Tschechin betreuen soll, und vor allem das sterile, unwohnliche Einfamilienhaus verdichten das an sich überschaubare Geschehen zu einem subtilen Horrorszenario.

Ich war versucht, die Handlung als Parabel auf eine in abstruse Gefühlslagen (mit Luxusproblemen und Ersatz-Weltanschauungen) geratene Wohlstandswelt zu lesen. Später als eine Studie, wieviel Böses ein Mensch zu tun bereit ist, wenn man ihm Privilegien und eine gewisse Position im Machtgefüge zuteilt. Bei beiden Deutungen lag ich falsch …

Bis kurz vor dem Ende lässt der Film im Ungewissen über seine wahre Absicht, die dann reichlich irritierend daherkommt, da sie auf wahre Begebenheiten anspielt. 

Erwähnen möchte ich zum Schluss noch unbedingt den Gewinner-Film des diesjährigen Jugendfilm-Wettbewerbs:

18 Kilohertz

von Farchat Scharipow aus Almaty. Die Verfilmung des Neunziger-Jahre-Romans mit dem vielsagenden Titel „Hardcore“ lässt sich am besten als „Trainspotting auf Kasachisch“ beschreiben – zumal auch der prägende Techno-Hymnus „Born Slippy“ von Underworld gleich zweimal in dem Film erklingt.

Der Schüler Sanjar findet in seinem Walkman, den er verborgt hatte, eine größere Menge Drogen. Zusammen mit seinem Freund versucht er, den Stoff an den Mann zu bringen. In Höchstgeschwindigkeit geraten beide in eine unaufhaltsame Abwärts-Spirale …

Düsteres Trabantenstadt-Epos über kasachische Jugendliche, die in der Zukunfts- und Orientierungslosigkeit nach dem Zerfall der Sowjetunion unter die Räder kommen.

Es bleiben noch elf Tage, um sich in das Programm einzuklicken. Ich werde das noch einige Male tun. Hoffe aber, dass es im nächsten Jahr wieder ein Festival ganz nach alter Fasson gibt und freue mich jetzt schon auf ein Wiedersehen!

 

 

 

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